Eine Verbindung von Alzheimer und Prionen wird schon seit längerem vermutet – seitdem Forscher entdeckt haben, dass sich die verklumpten Proteine im Gehirn von Alzheimer-Patienten fast genauso verhalten wie die Erreger von Rinderwahnsinn und Co. Jetzt bekommt die These neue Nahrung: US-Forscher haben belegt, dass auch der zweite Hauptangeklagte bei Alzheimer, das Tau-Protein, ein ähnliches Verhalten wie die fehlgefalteten Prionen bei diesen Erkrankungen an den Tag legt.
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Zwei Veränderungen des Gehirns sind typisch für Alzheimer: Zum einen bilden sich zwischen den Nervenzellen klumpige Ablagerungen aus einem Protein namens Beta-Amyloid, kurz Abeta, und zum anderen entstehen innerhalb der Zellen faserartige Strukturen und lange Bündel aus einem weiteren Protein namens Tau. Erstere werden als senile Plaques bezeichnet, letztere als Neurofibrillen. Welche Rolle sie jeweils genau bei Ausbruch der Krankheit spielen, ist bisher noch unklar. Sicher ist nur, dass beide nahezu immer zusammen auftreten.
Kaskade der Falschfaltung
Ebenso unklar ist, was die Bildung der verklumpten Proteine eigentlich auslöst. Abeta kommt ebenso wie Tau auch in gesunden Gehirnen vor, dort allerdings in einer löslichen Form. Erst wenn sich die Eiweiße – aus welchen Gründen auch immer – falsch falten, bilden sie die widerstandsfähigen Ablagerungen.
Vor knapp sieben Jahren entdeckte ein Tübinger Forscherteam, dass diese falsche Faltung im Fall von Abeta offensichtlich ansteckend ist: Kommt das normale, zelleigene Protein mit einem bereits falsch zusammengelegten Exemplar in Berührung, verändert es seine eigene Faltung und wird ebenfalls zu der krankhaften Variante. Exakt das Gleiche tun Prionen, die Erreger von BSE, Scrapie, Creutzfeldt-Jakob und Kuru. Der Verdacht lag also nahe, dass auch Alzheimer zu den Prionenerkrankungen gehören könnte.
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Ansteckende Tau-Proteine?
Auch wenn diese Frage nach wie vor unbeantwortet ist – die Hinweise auf eine Alzheimer-Prionen-Connection verdichteten sich in den vergangenen Jahren immer mehr. Das lag nicht zuletzt daran, dass auch das Tau-Protein ins Visier der Forscher geriet. Vor circa drei Jahren beobachtete eine weitere Forschergruppe Folgendes: Wird Mäusen ein Hirnextrakt von Artgenossen gespritzt, die aufgrund einer gentechnischen Veränderung die krankhaften Tau-Proteine bilden, breitet sich auch im Gehirn der zuvor gesunden Tiere die falsch gefaltete Tau-Form aus.
Allerdings konnten die Wissenschaftler bei ihrem Versuch nicht ausschließen, dass die Testmäuse noch anderes potenziell infektiöses Gewebe zusammen mit dem fehlerhaften Tau bekommen hatten. Denn es ist beispielsweise denkbar, dass die Fibrillen als Reaktion auf einen Erreger entstehen, den bislang nur noch niemand gefunden hat.
Ausbreitung auch mit synthetischen Eiweißen
Das können Virginia Lee und ihre Kollegen von der University of Pennsylvania nun definitiv ausschließen. Sie setzten in ihrer Studie nicht auf Gehirngewebe erkrankter Mäuse, sondern auf künstlich erzeugte Neurofibrillen aus synthetischem Tau. Dadurch konnten sie sichergehen, dass keinerlei störende Faktoren zusammen mit dem Tau-Protein injiziert wurden. Trotzdem beobachteten sie nach kurzer Zeit, wie sich die falsch gefalteten Eiweiße in den Gehirnen der Tiere ausbreiteten – zuerst an der Injektionsstelle und später dann in andere Areale, die damit verbunden waren. Die synthetischen Tau-Fibrillen sind also eindeutig in der Lage, körpereigenes Tau zu verdrehen und ihm falsche Faltung aufzuoktroyieren, so ihr Fazit.
Wie genau die kranken Tau-Proteine den gesunden ihren Willen aufzwingen, sollen nun weitere Studien klären. Auch erhoffen sich die Forscher aus dem Muster, nach dem sich das Tau im Gehirn ausbreitet, neue Anregungen für eine Alzheimer-Therapie. Zudem kristallisiere sich immer mehr heraus, dass die ansteckende Natur von Tau und Abeta offenbar ein Konzept ist, auf dem viele neurodegenerative Krankheiten beruhen. Denn auch bei Parkinson und Chorea Huntington scheinen die fehlerhaften Proteine andere nach ihrem Vorbild umbauen zu können.
Sollte sich das bestätigen, rückt eine wesentliche Frage in den Mittelpunkt: Sind diese Krankheiten möglicherweise ansteckend – so wie es BSE, Kuru und Co ja auch sind? Bisher gibt es laut verschiedenen Experten zwar keine Hinweise darauf, ausschließen kann man es jedoch auch noch nicht. (The Journal of Neuroscience, 2013; doi: 10.1523/JNEUROSCI.2642-12.2013)
(The Journal of Neuroscience, 16.01.2013 – ILB)