Medizin

Vermeintlicher Fatburner macht rotes Fleisch ungesund

Durch Häufige Zufuhr von L-Carnitin bildet sich ein gefäßschädlicher Stoff im Darm

Von wegen gesund: Das L-Carnitin kann Gefäßerkrankungen fördern. © SXC

L-Carnitin gilt als „Fatburner“ und gut für die Muskeln. Jetzt aber zeigt sich: Genau dieser Stoff könnte schuld daran sein, dass rotes Fleisch Gefäßerkrankungen fördert. Denn er fördert in unserer Darmflora vor allem die Mikroben, die das Carnitin in eine gefäßschädigende Substanz umbauen. Wie US-Forscher im Fachmagazin „Nature Medicine“ berichten, könnte dies erklären, warum Vegetarier und Veganer seltener an Gefäßerkrankungen leiden – und wirft zudem kein gutes Licht auf das als „Fettverbrenner“ so beliebte Nahrungsergänzungsmittel L-Carnitin.

Wer viel rotes Fleisch isst, erhöht sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – das ist nicht neu. Warum das so ist, war aber bisher umstritten. Meist galten gesättigte Fette oder Cholesterin als die Übeltäter. Jetzt haben Wissenschaftler sich einen anderen, eigentlich als gesund geltenden Inhaltsstoff von Fleisch genauer angeschaut: das L-Carnitin. Dieses aus zwei Aminosäuren hervorgehende Molekül ist für unseren Fettstoffwechsel unverzichtbar. Denn es schleust langkettige Fettsäuren durch die Membran um die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien. Vor allem in den Muskeln sorgt das Carnitin damit für den entsprechenden Energienachschub. Manche Ausdauersportler nehmen es deshalb als Nahrungsergänzungsmittel ein, weil sie sich Leistungssteigerungen davon erhoffen.

Der Körper kann zwar einen Teil des L-Carnitins selbst bilden, das meiste aber nehmen wir mit unserer Nahrung auf – vor allem mit rotem Fleisch. Dass dieser Stoff im Fleisch auch schädlich sein könnte, darauf kamen Robert Koeth von der Cleveland Clinic und seine Kollegen über einen Umweg: Schon vorher war bekannt, dass ein von manchen Bakterien produziertes Abbauprodukt, Trimethylamin-N-Oxid (TMAO), Arteriosklerose fördern kann. Weil L-Carnitin dem Ausgangsstoff dieses Abbaus sehr ähnelt, stellte sich nun die Frage, ob vielleicht unsere Darmflora auch das Carnitin in TMAO umwandelt – und damit in einen gefäßschädlichen Stoff.

Carnitin-Schock als Test

Um das zu testen, ließen die Forscher zunächst fünf Probanden eine hohe Dosis von radioaktiv markiertem L-Carnitin schlucken und untersuchten vorher und nachher den Gehalt an TMAO in ihrem Blut und Urin. Tatsächlich stellten sie eine rapide Erhöhung der TMAO-Werte nach Einnahme des Carnitins fest. Um zu testen, welche Rolle die Darmflora für diese Reaktion spielt, führten Koeth und seine Kollegen einen weiteren Versuch durch. Dabei verabreichten sie fünf Probanden eine Woche lang ein Breitband-Antibiotikum und töteten so deren Darmflora weitestgehend ab. Dann führten sie den L-Carnitin-Test erneut durch.

Das Ergebnis: „Wir haben so gut wie keine Bildung von TMAO mehr festgestellt“, berichten die Forscher. Das zeige, dass die Produktion dieses Stoffes aus L-Carnitin durch die Darmflora erfolge. Ergänzende Untersuchungen ergaben, dass bestimmte Bakterienarten bevorzugt das L-Carnitin zu TMAO abbauen, um daraus Energie zu gewinnen. Die Darmflora aber, das hatten vorhergehende Studien bereits gezeigt, ist bei jedem Menschen anders zusammengesetzt. Und ein wichtiger Faktor dabei ist die Ernährung.

Kaum TMAO bei Vegetariern

„Ob jemand beispielsweise Veganer, Vegetarier oder Fleischesser ist, beeinflusst, welche Mikrobenarten in seinem Darm dominieren“, erklären die Forscher. Deshalb führten sie als nächstes den Carnitin-Test mit 23 langjährigen Veganern und Vegetariern und 51 Fleischessern durch. „Die Unterschiede waren erstaunlich“, berichten Koeth und seine Kollegen. Während bei den Fleischessern der TMAO-Wert deutlich anstieg, hatten die Veganer und Vegetarier auch nach mehreren Stunden noch viel Carnitin, aber kaum TMAO im Blut. Vergleiche der Darmflora aller Probanden ergaben zudem deutliche Unterschiede in der Artenzusammensetzung. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass ein ständig hoher Fleischkonsum die Darmflora zugunsten der Arten verändert, die vermehrt das gefäßschädliche TMAO produzieren.

„Unsere Ergebnisse enthüllen einen neuen Weg, über den rotes Fleisch Arteriosklerose und anderen Gefäßerkrankungen fördert“, konstatieren die Forscher. Bisher habe man dafür gesättigte Fette oder Cholesterin im Verdacht gehabt, es aber nicht unstrittig belegen können. Jetzt zeige sich, dass L-Carnitin und dessen Abbau durch die Darmflora den Zusammenhang zwischen Fleisch und Krankheit schlüssig erklären könne.

Warnung vor Carnitin-Pillen

Nach Ansicht von Koeth und seinen Kollegen hat dies bedeutende Implikationen für die Medizin. Zum einen eröffnen sich neue Therapiemöglichkeiten durch gezielte Veränderung der Darmflora. Zum anderen aber wirft der neuentdeckte Zusammenhang ein ungutes Licht auf die weit verbreitete Nutzung von L-Carnitin als Nahrungsergänzungsmittel. „Die Sicherheit einer oralen Dauereinnahme sollte dringend untersucht werden, denn sie könnte die Vermehrung von Darmmikroben fördern, die besonders viel TMAO erzeugen und damit das Arteriosklerose-Risiko stark erhöhen“, warnen die Forscher. (Nature Medicine, 2013; doi: 10.1038/nm.3145)

(Nature Medicine, 08.04.2013 – NPO)

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