Weite Teile der Schlickgraswiesen entlang der Nordsee sind von hochgiftigem Mutterkorn befallen. Forscher fanden den parasitischen Pilz nahezu überall an der Wattenmeerküste. Untersuchungen ergaben, dass die Dichte und Giftigkeit des Mutterkorns in den Rispen des Schlickgrases dabei viele höher ist als bei Getreide, dem typischen Wirt des Pilzes. Da das befallene Schlickgras auch die Deiche hinauf wächst und entlang von Schafweiden, sei das eine potenzielle Gefahr auch für Kinder, Hunde und Schafe, warnen die Forscher.
Eigentlich wollten sie nur Saatgut für ein Botanik-Forschungsprojekt an der Nordseeküste sammeln. Doch als Forscher der Universität Hannover in der Salzmarsch am Jadebusen unterwegs waren, machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Fast überall in den Rispen des dort wachsenden Schlickgrases (Spartina anglica) fanden sie violett-schwarz schillernde sporenartige Gebilde: Mutterkorn. „Als ich die Bilder sah, habe ich sofort an Mutterkorn gedacht“, erinnert sich Jutta Papenbrock vom Institut für Botanik der Universität Hannover.
Mutterkorn, mit wissenschaftlichem Namen Claviceps purpurea, ist ein Pilz, der normalerweise Roggen, aber auch andere Getreidepflanzen befällt, und hochgiftig ist. Im Mittelalter war die Mutterkorn-Vergiftung, das so genannte Antoniusfeuer, mit geistiger Verwirrung und zum Tode führenden Organschäden extrem gefürchtet. Eine Darstellung auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Colmar zeigt eindrucksvoll einen Menschen, der am „Antoniusfeuer“ leidet. Heute besteht bei Getreide aus konventioneller Landwirtschaft keine Gefahr mehr.

Mehr und giftigere Pilzorgane
„Dass Mutterkorn auch Schlickgras besiedelt, war uns neu“, sagt Papenbrock. Um das Ausmaß des Befalls genauer abschätzen zu können, fuhren Mitarbeiter des Instituts die gesamte Wattenmeerküste von den Niederlanden bis nach Dänemark ab und untersuchten die Schlickgras-Bestände. Und tatsächlich – überall in den Rispen fanden sich die Überwinterungsorgane des Pilzes, sogenannte Sklerotien, und zwar deutlich mehr als sonst auf Roggen zu finden sind.