Biologie

Rätselhafte Ortstreue von Meeres-Schildkröten aufgeklärt

Tausende von Kilometern lange Reise der Unechten Karettschildkröte hat einen biologischen Sinn

Steht auf der Liste der bedrohten Arten: Die Unechte Karettschildkröte. © V. Stiebens/ GEOMAR

Sie schwimmen tausende von Kilometern, um ihre Eier wieder an den Ort ihrer eigenen Geburt abzulegen: Unechte Karettschildkröten sind extrem ortstreu. Welchen biologischen Sinn dies hat, haben jetzt deutsche Biologen aufgeklärt. Demnach vererben die Mütter ihrem Nachwuchs genau die Immun-Ausstattung, die diesen am besten vor den Parasiten und Erregern an ihrem Geburtsort schützt. Damit es aber keine Inzucht gibt, sind die Schildkröten-Männchen dafür deutlich weniger ortstreu, wie die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B“ berichten. Das Wissen um dieses Verhalten hilft dabei, die extrem bedrohte Art künftig besser zu schützen.

Weltweit sind mehr als 15.000 Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Betroffen sind auch alle Meeresschildkröten, darunter die Unechte Karettschildkröte. Viele Wissenslücken zum Verhalten dieser faszinierenden Meeresbewohner machen einen effektiven Schutz jedoch schwierig. Gerade die Unechte Karettschildkröte ist in diesem Zusammenhang ein besonders interessanter Fall: Warum wandern die Tiere zigtausende von Kilometern durch die Weltmeere, bevor sie nach ungefähr 25 Jahren zur Fortpflanzung an ihren Geburtsort zurückkehren?

Um diese Frage zu beantworten, haben Evolutionsbiologen des GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Brutpopulation der Unechten Karettschildkröte auf den Kapverdischen Inseln genauer untersucht. Die Inselgruppe vor Westafrika besteht aus insgesamt 15 Inseln und ist die weltweit drittgrößte Brutregion für die Schildkrötenart. Für ihre Studie nahmen die Biologen winzige Hautproben von Schildkröten auf mehreren Inseln. Mit verschiedenen genetischen Methoden untersuchten und verglichen sie die Gewebeproben. Dabei zeigte sich, dass die Tiere, die zur Eiablage auf die Kapverden kommen, eine verblüffende Ortstreue beweisen. „Wir waren fasziniert, dass die Weibchen exakt auf die Insel zurückkehrten, auf der sie vor über 20 Jahren geschlüpft waren”, sagt Erstautor Victor Stiebens vom GEOMAR.

Um zu klären, welchen biologischen Sinn diese extreme Ortstreue haben könnte, sahen sich die Forscher in den Gewebeproben bestimmte Gengruppen genauer an, die für Abwehrkräfte gegen Parasiten und Krankheiten verantwortlich sind. Tatsächlich unterschieden sich diese Gruppen bei Tieren von geographisch gesehen am weitesten voneinander entfernten Inseln. „Die Weibchen vererben also Abwehrkräfte genau gegen die Gefahren, die auf der jeweiligen Brutinsel auf den Nachwuchs warten“, erklärt Christoph Eizaguirre, Leiter der Schildkrötengruppe am GEOMAR.

Neben diesem Vorteil birgt die extreme Ortstreue gerade für Arten mit einer kleinen Population aber auch ein Risiko. Denn sie könnte dazu führen, dass sich immer nur sehr eng verwandte Tiere miteinander paaren. Inzucht und langfristig genetische Defekte wären die Folge. Doch die Forscher fanden heraus, dass die Evolution auch dafür eine Vorkehrung getroffen hat. Denn die Männchen der Unechten Karettschildkröte sind deutlich weniger wählerisch bei der Wahl des Paarungsortes als die Weibchen.

„Männchen scheinen in einer größeren Region nach Partnerinnen zu suchen”, erklärt Stiebens. „Diese geschlechtspezifischen Verhaltensweisen sorgen für eine gewisse genetische Varianz unter den einzelnen Inseln“, ergänzt Eizaguirre, „gleichzeitig bleiben aber die Genmuster erhalten, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, um in einer ganz bestimmten Region vor Krankheiten und Parasiten besser geschützt zu sein“.

Die Studie ergänzt damit ein weiteres Puzzlestück im Wissen um die Lebensweise der Unechten Karettschildkröte. „Je mehr wir wissen, desto besser kann man die Art auch schützen“, erklärt Eizaguirre. Die Studie zeige aber auch, dass gerade bei einer so kleinen Population wie der der Unechten Karettschildkröte jede Brutinsel eine große Rolle spiele. „Deshalb sollten möglichst viele Brutplätze auf den Kapverden und anderen Inselgruppen erhalten bleiben“, betont der Schildkrötenspezialist. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2013; doi: 10.1098/rspb.2013.0305)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 31.05.2013 – NPO)

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