Neurobiologie

Bigbrain: Bisher genauestes 3D-Modell des Gehirns

Forschern gelingt eine fast zellgenaue digitale Rekonstruktion unseres Denkorgans

3D-Hirnmodell: Man kann reinzoomen fast bis auf Zellgröße © Amunts et al. / Science

Einen so genauen Einblick in das Gehirn gab es noch nie: Forscher haben jetzt ein 3D-Modell unseres Denkorgans erstellt, das noch Strukturen bis auf 20 Mikrometer genau zeigt – das entspricht der Größe einer einzelnen Nervenzelle. Das Hirnmodell „BigBrain“ ist 50 Mal genauer als bisherige und gewährt damit tiefe Einblicke in die menschliche Schaltzentrale. Erstmals ist es nun möglich, die komplizierte Struktur des Gehirns in allen drei Ebenen des Raums auf mikroskopischer Ebene zu sehen und zu verstehen. Immerhin fünf Jahre und die Arbeit etlicher Supercomputer wurden für diese Herkulesaufgabe benötigt, wie das deutsch-kanadische Forscherteam im Fachmagazin „Science“ berichtet.

Das Gehirn ist das prägendste und gleichzeitig das geheimnisvollste unserer Organe. Ohne diese Schaltzentrale unseres Denkens, Fühlens und auch der körperlichen Funktionen sind wir nicht lebensfähig. Aber trotz Jahrzehnten der Hirnforschung liegen bisher maximal einzelne Einblicke in das Arbeiten des Gehirns vor. „Die meisten Hirnmodelle geben uns eine räumliche Orientierung nur in einer sehr niedrigen Auflösung“, erklärt Peter Stern, Redakteur der „Science“ in einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Bigbrain-Modells. „Aber um etwas so Komplexes wie das menschliche Nervensystem zu verstehen, müssen wir viel näher herangehen.“ Und genau das sei nun dank des neuen 3D-Modells möglich.

„Bigbrain ist das erste dreidimensionale Hirnmodell, das uns ein realistisches Abbild des menschlichen Gehirns mit all seinen Zellen und Strukturen liefert“, erklärt Karl Zilles vom Forschungszentrum Jülich. Es trage künftig dazu bei neue Erkenntnisse über das gesunde, aber auch erkrankte Gehirn zu gewinnen. So existiert mit Bigbrain nun beispielsweise eine Referenz, an der man abgleichen kann, wie sich die Hirnrinde im Laufe des Lebens und auch bei neurodegenerativen Prozessen wie der Alzheimer-Krankheit verändert. Auch Einblicke in die Prozesse beim Lernen oder bei der Bewegung lassen sich so gewinnen.

Hirnstrukturen scheibchenweise

BigBrain basiert auf Informationen aus mehr als 7.400 Gewebeschichten – jede nur etwa halb so dünn wie ein menschliches Haar. Als Vorlage dafür diente das Gehirn einer 65-jährigen, verstorbenen Frau, die zu Lebzeiten an keiner neurologischen Erkrankung oder Besonderheit litt. Denn Ziel der Forscher war es, das typische, gesunde Gehirn abzubilden. Zunächst wurde das Gehirn in grobe Scheiben geschnitten und diese anschließend in Paraffinwachs eingebettet. Mit einem Mikrotom – einem speziellen Feinschneidewerkzeug – schnitten die Forscher dann diese in noch feinere Scheiben.

Mit einem Mikrotom schnitten die Forscher 20 Mikrometer dünne Hirnscheiben © Amunts, Zilles, Evans et al.

Die so gewonnenen filigranen Schichten wurden auf spezielle Folien aufgezogen, eingefärbt und dann mit einem Flachbett-Scanner in hoher Auflösung digitalisiert. Aus der Gesamtheit der 7.400 Scans konnten die Forscher dann schließlich das 3D-Modell des Gehirns in hoher Auflösung zusammenstellen. „Die Verarbeitung der hauchdünnen, fragilen Gewebeproben ist extrem schwierig und aufwändig“, berichtet Erstautorin Katrin Amunts von der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.

Beim Anfertigen der hauchdünnen Schnitte entstehen manchmal Risse oder Falten, die in den digitalisierten Abbildern durch moderne Bildverarbeitungstechniken repariert werden müssen. Aber das ist nicht die einzige Hürde, die die Forscher überwinden mussten: Um die riesigen Datensätze zu verarbeiten, dreidimensional zu rekonstruieren und im Detail auszuwerten, war die geballte Leistungskraft von Supercomputern in Kanada und Jülich nötig.

Aber der Aufwand hat sich gelohnt: Die Auflösung von Bigbrain übertrifft die bisherige Modelle immerhin um das 50-Fache, wie die Forscher berichten. Mit ihm haben die Hirnforscher nun ein anatomisches Gerüst, mit dem sie ihre Erkenntnisse zum Stoffwechsel, bestimmten Rezeptoren und Prozessen im lebenden Gehirn abgleichen können. Dadurch wird es künftig leichter zu verstehen, welche Rolle die physischen Strukturen des Gehirns für unsere Denkprozesse spielen – und wie beides im Verhältnis steht. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1235381)

(Science, 21.06.2013 – NPO/MVI)

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