Unsere Milchstraße und ihr größerer Nachbar, die Andromeda-Galaxie, werden nach Ansicht vieler Astronomen in rund vier Milliarden Jahren zusammenstoßen. Doch es könnte sein, dass dies nicht das erste Mal ist: Möglicherweise haben beide Sternenansammlungen bereits eine Kollision hinter sich. Darauf deuten Daten eines europäischen Forscherteams jetzt hin. Demnach entgingen beide Galaxien damals einer Verschmelzung, ihre Begegnung ließ aber die zahlreichen Zwerggalaxien entstehen, die heute beide umgeben.
Die Milchstraße, bestehend aus rund 200 Milliarden Sternen, ist Teil einer Gruppe von Galaxien, der sogenannten lokalen Gruppe. Neben unseren nächsten galaktischen Nachbarn, den Magellanschen Wolken, gehören zahlreiche Zwerggalaxien und die Andromeda-Galaxie dazu. Diese Spiralgalaxie ist rund 2,5 Millionen Lichtjahre von uns entfernt und ähnelt ihr in Aufbau und Form. Obwohl sich das Universum als Ganzes ausdehnt und sich daher die meisten Galaxien voneinander entfernen, gilt dies für Milchstraße und Andromeda: Sie bewegen sich mit rund 114 Kilometer pro Sekunde aufeinander zu. Ursache dieser Anziehung ist nach gängiger Theorie eine Ansammlung Dunkler Materie, deren Schwerkraft beide anzieht.
Kollision ohne Verschmelzung schuf Zwerggalaxien
Ein Astronomenteam um Hongsheng Zhao von der britischen University of St Andrews postuliert nun eine andere Erklärung: Demnach haben beide Galaxien bereits eine Kollision hinter sich. Vor rund zehn Milliarden Jahren bewegten sie sich so nahe aneinander vorbei, dass sie nach gängiger Theorie der Dunklen Materie dabei eigentlich hätten verschmelzen müssen. „Dunkle Materie wirkt wie Honig: In einer nahen Begegnung würde die Milchstraße und Andromeda förmlich zusammenkleben“, erklärt Pavel Kroupa von der Universität Bonn.
Doch genau das geschah nicht. Stattdessen wanderten beide Galaxie nur sehr nahe aneinander vorbei und tauschten dabei Materie aus. Sterne und galaktische Gase wurden dabei zu langen Armen zwischen beiden ausgezogen. Während sich Milchstraße und Andromeda-Galaxie wieder weiter auseinander bewegten, klumpten diese Arme zusammen und aus ihnen bildeten sich neue kleine Sternenansammlungen – die Zwerggalaxien. „Ein ähnlicher Prozess ist auch heute im Universum noch oft zu beobachten“, erklärt Koautor Fabian Lueghausen von der Universität Bonn.
Abweichung von Newtons Dynamik statt Dunkler Materie?
Dieses Szenario, das die Forscher mit Hilfe von verschiedenen Modellen der Gravitation und Astrophysik simulierten, spricht nach Ansicht der Forscher allerdings gegen die Dunkle Materie – und für eine Theorie, die in den 1980er Jahren der israelische Physiker Mordechai Milgrom aufgestellt hat. Demnach wird diese exotische, nicht direkt nachweisbare Materieform gar nicht benötigt, um bestimmte kosmische Phänomene wie die Rotation von Galaxien zu erklären. Stattdessen geht er davon aus, dass in sehr großen Maßstäben – wie in und zwischen Galaxien – die Newtonschen Gesetze der Dynamik und Schwerkraft etwas anders funktionieren als in kleinerem Maßstab.
„Die einzige Erklärung, wie beide Galaxien sich so nahe kommen konnten ohne zu verschmelzen, ist, dass keine Dunkle Materie im Spiel war“, so Zhao. Die Beobachtungen – unter anderem der Zwerggalaxien und ihrer Bewegungen sprechen aber nach Ansicht stark für eine solche Kollision in der Vergangenheit. Sie seien ein Beleg, quasi eine Art rauchender Colt, für diesen Zusammenstoß. „Ich sehe nicht, wie es dafür eine andere Erklärung geben soll“, sagt Kroupa.
Ob Milgroms Theorie zutrifft oder nicht, darüber streiten Astrophysiker allerdings schon seit rund 30 Jahren. Die meisten Forscher gehen allerdings heute von der Existenz der Dunklen Materie aus. Es gibt aber einige, darunter auch Kroupa und seine Kollegen, die diese für reine Theorie und für nicht existent halten. Welche Fraktion Recht hat, wird sich vermutlich erst dann entscheiden, wenn die Dunkle Materie endgültig direkt nachgewiesen wird.
(Royal Astronomical Society (RAS), 04.07.2013 – NPO)