Das Eis Grönlands wird gleich doppelt aufgeheizt: Von oben erwärmt es der Klimawandel, von unten aber dringt Wärme aus dem Erdmantel durch eine stellenweise besonders dünne Erdkruste nach oben. Das zeigt die Studie eines internationalen Forscherteams. Warum die Lithosphäre unter dem Zentrum Grönlands so dünn ist, ist bisher unklar. Ihr Einfluss auf das darüber liegende Eis müsse aber künftig stärker berücksichtigt werden, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.
Der feste Teil der Erdoberfläche umfasst nicht nur die Erdkruste, sondern auch den festen oberen Teil des Mantels. Diese sogenannte Lithosphäre ist unter den Landmassen normalerweise zwischen 100 und 200 Kilometer dick, unter den Ozeanen deutlich dünner. Unterhalb dieser festen Schicht schließt sich die Asthenosphäre an, die heiße, zähflüssige Zone des Mantels. „An der Erdoberfläche ist der Wärmefluss von unten durch die Erdkruste normalerweise vernachlässigbar, verglichen mit dem Wärmeeinstrom durch Sonne und Atmosphäre“, erklären Alexey Petrunin vom GeoForschungsZentrum GFZ und seine Kollegen.
Anders sei das aber bei dicken Eisdecken, wie beispielsweise in Grönland. Modellstudien zeigen, dass die geothermale Wärme die Struktur der Eisdecke und vor allem die Verteilung von Schmelzwasser an ihrer Unterseite beeinflusst. Unklar war aber bisher, welche Rolle diese Hitze von unten für das grönländische Eisschild spielt. Um das zu klären, fütterten die Forscher ein thermomechanisches Modell der Lithosphäre, ihres Wärmetransports und der Eiskappe mit Temperaturdaten, die bei Bohrungen in Grönland gewonnen wurden.
Lithosphäre unter Grönland bis zu 75 Prozent dünner
Das Ergebnis: Die Lithosphäre unter dem Zentrum des grönländischen Eisschilds ist 34 bis 75 Prozent dünner als sonst typisch für Krustenteile dieser Art. Der geothermale Wärmefluss erhöht sich dadurch deutlich. „Der älteste und dickste Teil des Eisschilds wird dadurch stark durch Hitze aus den Tiefen der Erde beeinflusst“, so die Forscher. Das Modell zeigt auch, dass der Wärmetransport durch die Lithosphäre unter Grönland stark von Ort zu Ort schwankt. „Wir finden Bereiche, in denen das Eis an der Basis schmilzt direkt neben anderen Gebieten, wo die Eisbasis extrem kalt ist“, erklärt Ko-Autorin Irina Rogozhina vom GFZ.
„Unsere Ergebnisse demonstrieren die wichtige Rolle, die auch die Struktur der festen Erde für die Dynamik von Oberflächenprozessen und für das Klima spielt“, konstatieren die Forscher. Der grönländische Eisschild verliert jährlich rund 227 Gigatonnen an Eis. Pro Jahr trägt er damit etwa 0,7 Millimeter zum momentanen Meeresspiegelanstieg von rund 3 Millimetern pro Jahr bei. Die Kopplung von Modellen der Eisdynamik mit thermomechanischen Modellen der festen Erde erlauben nach Ansicht der Forscher nun einen präziseren Blick in die Vorgänge, die das grönländische Eis zum Schmelzen bringen.
Warum allerdings die zwischen 2,8 und 1,7 Milliarden Jahre alte Lithosphäre Grönlands so außergewöhnlich dünn ist, wissen auch die Geoforscher noch nicht. Sie misst nur 70 bis 80 Kilometer statt der normalerweise 100 bis 200 Kilometer. Warum, das müsse nun noch erforscht werden. (Nature Geoscience, 2013, doi: 10.1038/ngeo1898)
(GeoForschungszentrum Potsdam GFZ, 12.08.2013 – NPO)