Das ist ein echter Weltrekord: Forscher haben erstmals ein Glas erzeugt, das nur eine Moleküllage dünn ist und damit quasi ein zweidimensionales Gitter bildet. Zum ersten Mal konnten sie so die bisher rätselhafte Struktur dieser erstarrten Schmelzen direkt im Mikroskop abbilden. Das ultradünne Glas könnte aber auch völlig neue Anwendungen ermöglichen – unter anderem in Prozessoren von Computern und Smartphones, wie die Physiker im Fachmagazin „Nano Letters“ berichten.
Die Entdeckung war ein echter Zufall. Denn eigentlich waren David Muller vom Kavli Institute der Cornell University und seine Kollegen dabei, Graphen herzustellen – ein einlagiges Gitter aus ringförmig vernetzten Kohlenstoffatomen. Dazu beschichteten sie Kupferfolie in einem Quarzofen mit Kohlenstoff. Als sie das Ganze wieder herausholten, bemerkten sie eine seltsame Verschmutzung auf dem Graphen. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, dass dieser „Schmutz“ aus Glas bestand: Es hatte sich eine nur zwei Atome dicke Glasschicht auf dem Graphen gebildet.
Ultradünne Glasschicht als „Schmutz“
Glas besteht normalerweise aus Siliziumdioxid, einer Verbindung aus Silizium und Sauerstoff. Wie sich zeigte, war das auch hier der Fall. Die Forscher vermuten, dass ihr normalerweise unter Luftabschluss funktionierender Ofen ein winziges Leck gehabt haben muss. Durch diesen drang Sauerstoff ein und führte dazu, dass das Kupfer mit dem Quarz reagierte, das Silizium und Sauerstoff enthält. Diese Reaktion führte dazu, dass sich auf dem Graphen die dünne, aus nur einer Moleküllage bestehende Glasschicht absetzte. Das ist so rekordverdächtig, dass sogar das Guinness Buch der Rekorde diese Entdeckung in seiner Ausgabe 2014 aufnehmen wird.
Aber dieser Zufallsfund ist nicht nur ein Rekord – ein so dünnes Glas hat noch niemand bisher erzeugt. Es könnte auch die 80 Jahre alte Frage nach der fundamentalen Struktur von Glas beantworten. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Feststoffen hat Glas keine geordnete Kristallstruktur. Stattdessen gleicht es eher einer erstarrten Schmelze und besitzt Eigenschaften sowohl von Feststoffen als auch von Flüssigkeiten. Die Moleküle in ihm sind chaotisch angeordnet – wie genau, war aber unklar.
Erster direkter Blick auf die Atomstruktur
Das neue superdünne Glas bot den Forschern nun die erste Möglichkeit, die Anordnung der Atome im Glas erstmals direkt abzubilden. Denn bei einer Dicke von nur zwei Atomlagen ist dies mit Hilfe der sogenannten Elektronen -Spektroskopie möglich. Die von Muller und seinen Kollegen erstellte Aufnahme enthüllt, dass sich im Glas größere und kleinere Ringstrukturen in bestimmter Form abwechseln. „Das ist das erste Mal, dass ein Mensch direkt sehen konnte, wie die Atome im Glas angeordnet sind“, erklärt Muller. „Wenn ich später auf meine Karriere zurückblicke, wird dies die Arbeit sein, auf die ich am meisten stolz sein werde.“
Die Aufnahmen enthüllen, dass die atomare Struktur des Glases ziemlich genau dem Prinzip entspricht, das der Physiker William Zachariasen bereits im J181,ahr 1932 postulierte. Er war aufgrund von Untersuchungen mit Hilfe von Röntgenstrahlen und Berechnungen zur Bindungsenergie des Siliziumdioxids zu dem Schluss gekommen, dass Glas nur dann stabil sein kann, wenn die in seiner Struktur gespeicherte Energie trotz ihrer unregelmäßigen Anordnung der eines Kristalls entspricht.
Nach Ansicht der Forscher könnte ihr Zufallsfund aber auch ganz neue praktische Anwendungen haben. So könnte ein solches quasi zweidimensionales Glas in Kombination mit Graphen beispielsweise in Transistoren eingesetzt werden und die Leistung von Prozessoren in Computern und Smartphones verbessern helfen. (Nano Letters; doi: 10.1021/nl204423x)
(Cornell University, 13.09.2013 – NPO)