Brokkoli und Kohl gelten als gesund: Ihre Inhaltsstoffe wirken gegen Zellstress, beugen Krebs vor und sollen sogar das Altern bremsen. Jetzt zeigt sich: Eine dieser Substanzen könnte sogar gegen akute radioaktive Verstrahlung schützen. Erhielten Ratten und Mäuse den Stoff 3,3- Diindolylmethan (DIM), bewahrte sie dies vor dem sicheren Strahlentod. Dieser Schutz funktionierte selbst dann, wenn die Tiere das Mittel erst mehrere Stunden nach der tödlichen Verstrahlung erhielten, wie US-Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Bei einer Atomkatastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima bringen sich Rettungskräfte und Arbeiter in tödliche Gefahr. Denn in der Nähe der Reaktoren sind die freigesetzten Strahlendosen teilweise so hoch, dass ein Mensch schon nach kurzer Zeit eine tödliche Strahlenkrankheit davonträgt. Die Folge sind irreparable Zellschäden, Zerstörung von Blutzellen und Organen und oft nach wenigen Tagen der Tod.
Aber auch eine Bestrahlung im Rahmen einer Krebstherapie hinterlässt Schäden im Körper, wenn auch in sehr viel geringerem Maße. Denn um die Tumorzellen abzutöten, müssen oft Strahlendosen eingesetzt werden, die auch gesunde Zellen im behandelten Bereich schädigen. Bisher gibt es kaum Möglichkeiten, eine Verstrahlung zu heilen oder ihre Folgen rückgängig zu machen. Auch die Nebenwirkungen einer Strahlentherapie lassen sich nur lindern, nicht aber ganz verhindern.
Schutz vor Krebs und Zellschäden
Jetzt aber könnte Abhilfe in Sicht sein. Denn ein Pflanzeninhaltsstoff hat sich in Versuchen an Ratten und Mäusen als erstaunlich potenter Schutz gegen Strahlenschäden erwiesen. Die fragliche Substanz, das 3,3-Diindolylmethan (DIM), steht schon seit einiger Zeit im Fokus der biomedizinischen Forschung. Denn Versuche mit Zellkulturen und Tiere zeigten bereits, dass der Stoff Zellen weniger anfällig gegenüber einigen Krebsarten macht. Auch gegenüber oxidativem Stress scheint das Mittel die Zellen zu schützen.
Erste klinische Tests ergaben zudem, dass DIM keine schädlichen Nebenwirkungen zeigt, wenn es oral verabreicht wird. „Der Mechanismus, durch den DIM vor Krebs schützt, ist aber bisher unbekannt“, erklären Saijun Fan vom Georgetown University Medical Center in Washington DC und seine Kollegen. Um den Eigenschaften dieses Pflanzenstoffs näher auf den Grund zu gehen, beschlossen die Forscher, zu testen, ob und wie DIM gegen eine extreme Form der Zellschädigung wirkt: radioaktive Strahlung.
Immun gegen tödliche Strahlendosis
Für ihre Studie verabreichten sie Ratten verschieden hohe Konzentrationen von DIM, die Tiere erhielten über 14 Tage hinweg jeweils eine Dosis täglich per Injektion. 24 Stunden nach der ersten Gabe wurden die Ratten mit einer Ganzkörperdosis von 13 Gray radioaktiv bestrahlt – einer normalerweise absolut tödlichen Strahlenmenge. „Alle unbehandelten Tiere starben, aber mehr als die Hälfte der mit DIM behandelten Ratten waren selbst 30 Tage nach der Bestrahlung noch am Leben“, berichtet Koautor Eliot Rosen vom Krebszentrum der Georgetown University. „Das ist der erste Beleg dafür, dass DIM auch gegen radioaktive Strahlung schützen kann.“
Besonders vielversprechend ist aber das Ergebnis eines weiteren Versuchs. Bei diesem begannen die Wissenschaftler erst nach der tödlichen Strahlendosis, Ratten und Mäuse mit DIM zu behandeln. Und auch hier erwies sich die Substanz als äußerst wirksam: Wurde das DIM erstmals zwei Stunden nach der Bestrahlung verabreicht, überlebten auch dabei mehr als die Hälfte der Tiere. Und sogar ein Behandlungsbeginn erst 24 Stunden nach der tödlichen Strahlendosis konnte immerhin noch ein Drittel der Tiere vor dem sicheren Tod bewahren.
Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass DIM auch nachträglich noch gegen Strahlenschäden wirken kann – eine wichtige Eigenschaft bei Atomunfällen. „Denn dann können die Betroffenen oft nicht früher geborgen und behandelt werden“, so die Forscher.
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DNA-Reparatur beschleunigt
Worauf aber beruht die schützende Wirkung des Pflanzenstoffs? Um das zu klären, führten die Wissenschaftler zusätzlich Versuche mit Zellkulturen durch. Dabei zeigte sich: Die Anwesenheit von DIM aktiviert in normalen Körperzellen einen Signalstoff, der die Reparatur beschädigter DNA ankurbelt. Dies ermöglicht es den Zellen, die von der harten Strahlung verursachten Zerstörungen so schnell und effektiv zu beseitigen, dass die Zelle weiter funktionieren kann. Für diese Wirkung reichten schon DIM-Konzentrationen aus, die problemlos durch Einnahme über Tabletten erreicht werden können und die gut vertragen werden, wie die Forscher betonen.
Und noch etwas Entscheidendes fanden die Wissenschaftler heraus: Krebszellen scheinen von der schützenden Wirkung des DIM nicht zu profitieren. Bei ihnen funktioniert die Ankurbelung der DNA-Reparatur nicht, wie die Forscher berichten. Als Folge wurden Tumore und Krebszellen bei Mäusen nach wie vor durch die Bestrahlung zerstört, die gesunden Zellen jedoch waren durch das DIM dabei geschützt. Dies eröffnet möglicherweise auch neue Möglichkeiten, Krebspatienten vor den Nebenwirkungen der Strahlentherapie zu bewahren. „Das DIM könnte bei der Strahlenbehandlung das gesundes Gewebe der Patienten schützen“, sagt Rosen. Die ungeschützten Krebszellen werden dagegen weiterhin zerstört.
Gut verträglich und effektiv
„Das DIM hat gleich mehrere Eigenschaften, die es zu einem guten Schutzmittel gegen radioaktive Strahlung machen“, konstatieren Fan und seine Kollegen: Es ist bei oraler Gabe selbst in hoher Dosierung nicht giftig und wird vom Körper gut aufgenommen. Es kann aber auch per Injektion verabreicht werden, sollten beispielsweise Speiseröhre und Verdauungsorgane von akuter Verstrahlung betroffen sein.
Außerdem vermag es selbst im Nachhinein noch gegen die Folgen radioaktiver Bestrahlung zu schützen. „DIM erhöhte die Überlebenschance der Tiere über eine weite Spannbreite von radioaktiven Strahlendosen zwischen 5 und 13 Gray“, so die Forscher. Das zeige, dass die Substanz sowohl gegen die Zerstörung von Blutzellen schütze als auch gegen die akuten Sofortfolgen der Strahlenkrankheit. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1308206110)
(PNAS, 15.10.2013 – NPO)