Damit ist der Mensch aber ein absoluter Außenseiter. Für keine andere Spezies im Katalog der Forscher steigt die Sterbewahrscheinlichkeit so radikal an. Selbst unter Säugetieren erreicht sie höchstens das Fünffache des Lebensdurchschnittes. Wieso die Evolution solch große Unterschiede hervorgebracht hat, ist Biologen bisher ein Rätsel. „Unsere Studie führt uns vor Augen, dass Altern eins der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie ist“, sagt Owen Jones von MaxO. „Die von uns nachgewiesene Vielfalt der Alterungsmuster war unerwartet angesichts der Voraussagen klassischer Theorien zur Evolution des Alterns“, ergänzt Alexander Scheuerlein vom MPIDR.

Der Süßwasserpolyp Hydra magnipapillata zeigt unter Laborbedingungen eine niedrige und konstante Sterblichkeit. Unter solchen kontrollierten Bedingungen ist die Sterblichkeit dieses Süßwassertieres so gering, dass Berechnungen zufolge etwa 5% der ausgewachsenen Tiere noch nach 1.400 Jahren am Leben sind. © Ralf Schaible
Für etliche Arten steht die Alterung Kopf
Vollends kapitulieren die aktuellen Denkmodelle angesichts zweier Gruppen von Spezies, für die die Alterung buchstäblich Kopf steht: Zum einen gibt es Arten, deren Sterblichkeit sich über das gesamte Leben nicht verändert, wie den Süßwasserpolypen Hydra oder den Einsiedlerkrebs. Ihr Körper scheint nicht zu degenerieren, während die Lebenszeit verstreicht. Andere Arten erleben mit zunehmendem Alter sogar, dass die Wahrscheinlichkeit zu sterben immer kleiner wird: etwa die Farbwechselnde Gorgonie (eine Koralle), die Eiche mit dem lateinischen Namen Quercus Rugosa oder die Kalifornische Gopherschildkröte. Auch sie sind irgendwann tot, denn ihr Sterberisiko wird niemals Null. Aber wenn sie alt sind, ist es für sie wahrscheinlicher, den nächsten Geburtstag zu erleben, als in der Jugend.
Mit noch einer Vorstellung räumt die neue Datensammlung auf: Dass Spezies, die besonders kurz leben, am stärksten altersbedingt abbauen. Manchmal ist eher das Gegenteil wahr: So verläuft die Sterblichkeit der Nordischen Wühlmaus ziemlich stabil – sie steigt zum Lebensende lediglich auf knapp das Doppelte des Lebensdurchschnitts. Trotzdem wird diese Wühlmaus fast nie älter als ein Jahr. Menschen hingegen erleben inzwischen immer häufiger ein ganzes Jahrhundert, obwohl ihr Sterberisiko mit dem Alter geradezu in den Himmel schießt: Im hohen Alter steigt das Risiko bis auf über das 20-Fache des Lebensdurchschnittes.
Daten weisen Weg zu einheitlicher Theorie des Alterns
„Erstaunlicherweise scheint es in der Natur kaum einen Typ von Lebensverlauf zu geben, den man nicht finden kann“, sagt MaxO-Forscher Owen Jones. Das gelte nicht nur für die Sterblichkeit, sondern auch für die Fruchtbarkeit. Während menschliche Frauen nur in einer recht kurzen Phase in der ersten Lebenshälfte Kinder bekommen und dann unfruchtbar werden, nimmt die Fertilität etwa für den Alpensegler bis kurz vor dem Lebensende kräftig zu. Und der Steppenpavian bekommt sein Leben lang Junge, ohne dass sein Alter daran viel ändern würde.
„Uns fehlt auch deswegen immer noch eine einheitliche Theorie des Alterns, weil uns die bisher sehr spezielle Auswahl biologischer Daten den Blick versperrt hat“, sagt Biodemograf Alexander Scheuerlein vom MPIDR. So gäbe es schon lange hochwertige demografische Angaben für Hunderte von Säugetieren und Vögeln, kaum aber für andere Wirbeltiere oder wirbellose Arten. Extrem wenig wisse man über Algen, Pilze und Bakterien. Um zu verstehen, warum die Evolution das Altern geschaffen hat, müssten endlich umfangreichere Daten über alle Arten gesammelt werden.
(Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12789)
Grafische Darstellungen aus dem Datenkatalog der Studie (PDF, 2.3MB)
(Max-Planck Gesellschaft, 09.12.2013 – AKR)
9. Dezember 2013