Neurobiologie

Falsche Erinnerungen durch Stromreize?

Elektrische Stimulation beeinflusst das Erinnerungsvermögen für Bilddetails

Forschungslandschaft Gehirn © Hemera

Unsere Erinnerungen sind manipulierbar: Schon leichte Stromreize eines Hirnareals genügen, damit wir uns an Dinge zu erinnern meinen, die wir nie zuvor gesehen haben. Das belegt ein Experiment deutscher Forscher. Wie sie herausfanden, lassen sich reale Erinnerungen auf diese Weise wenig beeinflussen, falsche Erinnerungen aber sehr wohl, wie sie im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“ berichten.

Erinnerung ist ein dynamischer und zuweilen geradezu kreativer Prozess: Was wir aus unserem Gedächtnis abrufen, kann sich deutlich von dem unterscheiden, was wir ursprünglich abzuspeichern meinten. Das sogenannte episodische Gedächtnis, die Erinnerungen an erlebte Dinge, gilt als besonders anfällig für Verzerrungen und Fehler. Allerdings betreffen die Ungenauigkeiten nicht so sehr die Hauptaussagen oder das Hauptmotiv des Erlebten, sondern die Details. „Dies ist kein krankhafter Prozess, denn das Gedächtnis muss eine Balance zwischen dem ökonomischen Umgang mit seiner Speicherkapazität und der benötigten Genauigkeit der Erinnerungen finden“, erklärt Christian Plewnia von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen.

Elektrische Reize mit unterschiedlicher Polarität

Ein bestimmter Bereich der Großhirnrinde im linken Stirnlappen ist an der Steuerung der Erinnerungsvorgänge beteiligt. Diesen Bereich untersuchte das Team von Plewnia zusammen mit Kollegen der Universität Bielefeld genauer. Die Nervenzellen im Gehirn verständigen sich untereinander über elektrische Reizleitung. Daher können Wissenschaftler durch schwache Stromreize, die von außen an der entsprechenden Stelle des Kopfes gegeben werden, die Erregbarkeit einzelner Hirnbereiche beeinflussen.

Die Tübinger Forscher teilten für ihre Experimente 96 Probanden in drei Gruppen ein: Alle wurden verkabelt, doch nur bei zwei der Gruppen stimulierten die Forscher das Gehirn der Probanden tatsächlich gezielt mit schwachen Stromreizen entweder anodaler oder kathodaler Polarität. Dies bedeutet eine identische Stärke der Stimulation, lediglich die Richtung des Stromflusses ist entgegengesetzt.

Erinnern oder vergessen

In zehn Minuten bekamen die Studienteilnehmer 90 Bilder von alltäglichen Situationen und Objekten vorgelegt, etwa von Bäumen, Häusern oder Bussen. Nach jedem Bild erhielten sie durch eins von drei verschiedenen Symbolen die Anweisung, sich an das vorherige Bild zu erinnern, es zu vergessen oder neutral zu bewerten. So erreichten die Forscher, dass die Probanden die Bilder unterschiedlich intensiv abspeicherten.

In der zweiten Phase des Experiments, der Wiedererkennungsphase, mischten die Wissenschaftler die bekannten Bilder mit neuen Bildern, die sich lediglich in kleinen Details von der ersten Serie unterschieden: der gleiche Baum zu anderer Jahreszeit, die Häuserzeile aus anderer Perspektive oder der vormals gelbe Bus in Rot. Die Probanden sollten aus den nun 180 Bildern alle identifizieren, die sie bereits kannten – unabhängig von den früheren Anweisungen.

Stromrichtung beeinflusst Fehlerrate

Bei der korrekten Wiedererkennung bereits bekannter Bilder unterschieden sich die Leistungen der drei Gruppen nicht. Nur ein Effekt der Symbol-Anweisungen aus der ersten Testphase ergab sich: Alle Teilnehmer erkannten die Bilder der ersten Serie besser, an die sie sich erinnern sollten. Bei den fälschlicherweise bekannt erscheinenden Bildern zeigten sich dagegen deutliche Unterschiede: Probanden, die Stromreize mit kathodaler Polarität erhielten, machten deutlich weniger Fehler als die Kontrollgruppe. Der umgekehrte Stromfluss in anodaler Richtung führte dagegen bei der zweiten Testgruppe zu einer deutlich höheren Fehlerrate.

Ob wir uns fälschlicherweise an Dinge erinnern, die wir nie gesehen oder erlebt haben, scheint demnach manipulierbar. „Die Muster der korrekten und falschen Bild-Wiedererkennung legen nahe, dass durch die Stromreize die Genauigkeit bei der falschen Wiedererkennung moduliert wird“, stellt Studienleiter Plewnia fest. „Wir wissen nun zum einen, dass die Stimulation polaritätsspezifisch wirkt und zum anderen, dass dieser Mechanismus vom Aktivitätszustand des Gehirns abhängig ist.“

Einfach sind die Zusammenhänge nicht. Mit den Ergebnissen der Studie können die Wissenschaftler jedoch eine genauere Vorstellung davon entwickeln, wie die Erinnerungsprozesse in dem entscheidenden Hirnbereich ablaufen. Auch bei neuropsychiatrischen Störungen könnte dieses elektrischen Stimulationsverfahren in Zukunft helfen.

(The Journal of Neuroscience, 2014; doi: 10.1523/JNEUROSCI.5407-13.2014)

(Eberhard Karls Universität Tübingen, 13.03.2014 – AKR)

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