Neurobiologie

Warum wir hohe Töne als hoch bezeichnen

Scheinbar willkürliche Benennung ist kein Zufall, sondern spiegelt räumliche Verteilung wider

Hohe Töne von oben, tiefe von unten: die Ohrmuschel ist daran angepasst. © Parise & Ernst

Warum benutzen wir die räumlichen Begriffe „hoch“ und „tief“, um eine Tonlage zu beschreiben? Offenbar gibt es einen natürlichen Grund für diese Assoziation: Deutsche Neurowissenschaftler haben entdeckt, dass hohe Töne tatsächlich oft von höheren Positionen im Raum stammen. In einem Artikel im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ beschreiben sie auch, wie gut sich unser Ohr an diese Verhältnisse angepasst hat.

Manche Beschreibungen für Sinneseindrücke erscheinen willkürlich: Rote und gelbe Farben bezeichnen wir als „warm“, möglicherweise angelehnt an Feuer oder glühendes Metall, jedoch hat auch eisgekühlter Orangensaft eine warme Farbe. Den Geschmack von Chillischoten nennen wir „scharf“, obwohl die Schote mit einem Messer nichts gemeinsam hat.

Ähnlich willkürlich erscheint zunächst auch die Benennung von Tonfrequenzen: Wir unterscheiden zwischen „hohen“ und „tiefen Tönen, Noten werden entsprechend oben oder unten auf die Notenlinien geschrieben. Niemand käme auf die Idee, hohe Töne etwa als „schnell“ und tiefe als „langsam“ zu bezeichnen, obwohl das die Schwingungsfrequenzen sogar genauer beschreibt.

Zwitschern oben, bellen und grollen unten

Wissenschaftler aus Bielefeld und Tübingen haben untersucht, ob im Fall der Töne mehr hinter der Bezeichnung steckt als bloße Willkür. Dazu zeichneten sie zunächst eine große Anzahl von natürlichen Umgebungsgeräuschen auf und verglichen deren Frequenzen und die Position der Quelle miteinander.

Dabei stellten sie fest: In der Tat erklingen hochfrequente Töne in der Natur – wie beispielsweise Vogelzwitschern oder Blätterrauschen – häufiger von einer höheren Position im Raum. Tiefer tönende Geräusche wie Hundebellen dagegen häufiger von weiter unten.

Ohrmuscheln als Filter

Wie diese Außengeräusche im menschlichen Ohr ankommen und gefiltert werden, prüften die Forscher im nächsten Schritt. Sie analysierten dafür die Anatomie der Ohrmuschel und die Tonweiterleitung. „Dabei zeigte sich, dass Geräusche aufgrund der asymmetrisch gebogenen Form der Ohrmuschel gefiltert werden und zwar derart, dass hohe Töne eine höhere Intensität aufweisen, wenn sie von oben kommen“, erklärt Forschungsgruppenleiter Marc Ernst von der Universität Bielefeld.

Das menschliche Ohr hört demnachdurch die Form der Ohrmuschel besonders gut hohe Töne, die von oben kommen.Umgekehrt nimmt es von unten kommende niedrige Frequenzen besser wahr. „Die Befunde deuten in einer faszinierenden Weise darauf hin, dass sich das menschliche Ohr durch die Evolution möglicherweise genau derart geformt hat, um die akustischen Eigenschaften der Umwelt widerzuspiegeln“, schließt Erstautor Cesare Parise vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen.

Universeller Zusammenhang

Wie effektiv diese Anpassung ist, testen die Forscher in einem Verhaltensexperiment: Sie baten Versuchspersonen, Geräusche mit unterschiedlicher Tonhöhe im Raum zu lokalisieren. Das Ergebnis war genauso eindeutig wie in den vorherigen Experimenten: Die Testpersonen ordneten hochfrequente Töne in den meisten Fällen einer erhöhten räumlichen Position zu. „Auffällig ist, dass die Ergebnisse der drei Analysen in hohem Maße übereinstimmen“, sagt Ernst. „Es scheint also einen universellen Zusammenhang zwischen der Position eines Objekts und seiner Tonhöhe zu geben.“

Diese Erkenntnisse könnten auch für die Entwicklung neuartiger Audio-Technologien genutzt werden, wie die Forscher erklären. Dazu gehören Ohrprothesen und Hörgeräte, die optimiert sind, hohe Geräusche von hoch gelagerten Tonquellen und tiefe Geräusche von unten wahrzunehmen. Auch für virtuelle Welten und Computerspiele, in denen Geräusche künstlich erzeugt werden, könne das neue Wissen nützlich sein. Die aktuelle Studie legt außerdem nahe, dass möglicherweise auch andere scheinbar willkürliche Beschreibungen von Sinneseindrücken Gesetzmäßigkeiten unserer Umwelt widerspiegeln.

(PNAS, 2014; doi: 10.1073/pnas.1322705111)

(Universität Bielefeld, 09.04.2014 – AKR)

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