Es klingt ziemlich abenteuerlich: Nach Ansicht zweier Physiker könnte die Raumzeit eine Art Superflüssigkeit sein. Ähnlich wie das Verhalten des Wassers durch seine Molekül-Interaktionen geprägt wird, wäre dann die Raumzeit durch Effekte ihrer Quantenbausteine geprägt. Sie bildet dadurch ein fast reibungsloses Superfluid. Der Clou an diesem Szenario der Quantengravitation: Es könnte sich zukünftig sogar experimentell überprüfen lassen.
Nach der Theorie der Quantengravitation ist die Raumzeit keine kontinuierliche Matrix, sondern diskret: Auf der kleinsten Ebene ist sie in einzelne Einheiten von minimal 10 hoch -35 Metern aufgeteilt, die eine Art Quantenschaum bilden. Dieses Konstrukt soll ein Problem der Quantenmechanik lösen helfen: Bisher lassen sich nur drei der vier Grundkräfte durch Quanteneffekt plausibel erklären. Die vierte Grundkraft, die Gravitation, aber nicht.
Im Rahmen der Quantengravitation gibt es zwar inzwischen viele Modelle, die genau dies versuchen. Doch das Problem dabei: Ihre Szenarien sind entweder unvollständig oder aber sie lassen sich nicht empirisch belegen. „Das Entstehen der klassischen Raumzeit aus einem Quantengravitations-Modell ist immer noch ein subtiles und nur teilweise verstandenes Thema“, erklären Stefano Liberati von der International School for Advanced Studies (SISSA) in Triest und Luca Maccione von der Ludwig-Maximilian Universität in München.
Hydrodynamik in kosmischem Maßstab
Sie haben nun ein Modell entwickelt, das auf den ersten Blick absurd klingt, aber erste Möglichkeiten einer Überprüfung bieten könnte. Ihr Szenario: Die Raumzeit könnte sich – quantenphysikalisch betrachtet – wie eine Flüssigkeit verhalten. Die Gesetzmäßigkeiten der Allgemeinen Relativität wären dann Ergebnis der Eigenschaften dieser Superflüssigkeit – analog der Hydrodynamik, die das Verhalten von Flüssigkeiten auf makroskopischer Ebene beschreibt.
„Denn wenn die Raumzeit als eine Art großskaliges Kondensat aus fundamentaleren Objekten entsteht, dann ist es nur natürlich zu erwarten, dass Materie als kollektive Anregung der Raumzeit-Bausteine, modifizierte Kinematiken zeigt“, so die Forscher. Oder einfacher ausgedrückt: Ähnlich wie die Interaktionen der Wassermoleküle dieses Verhalten beeinflussen, so könnten auch die Quanteneigenschaften der Raumzeit seine Merkmale prägen.
Fast reibungsloses Superfluid
„Wenn wir die Analogie mit Flüssigkeiten weiterdenken, dann müssen wir auch seine Viskosität und andere Verteilungseffekte in Betracht ziehen“, konstatiert Liberati. Die Tatsache, dass Licht entfernter Sterne und Galaxien über Milliarden von Lichtjahren zu uns gelangt, spricht gegen eine hohe Viskosität der gequantelten Raumzeit, wie die Forscher erklären. Denn je zähflüssiger ein Fluid ist, desto stärker streut es Photonen und andere Teilchen, die es durchqueren.
„Wenn die Raumzeit eine Flüssigkeit ist, dann muss es unseren Berechnungen nach ein Superfluid sein“, so Liberati. „Das bedeutet, seine Viskosität ist extrem niedrig, nahe Null.“ Sollte sie aber nicht ganz Null sein, dann könnte es Wege geben, die daraus resultierenden schwachen Streuungseffekte durch zukünftige astrophysikalische Messungen aufzuspüren. Eine Möglichkeit wäre, die Raten des Energieverlusts von Elementarteilchen genauer auf solche Effekte hin zu untersuchen.
Experimentell überprüfbar?
„Sollte dies passieren, dann hätten wir ein starkes Indiz für die Modelle einer aus Quantengrundlagen entstehenden Raumzeit“, betont Liberati. Damit aber könnte es nach Ansicht der Forscher einen Weg geben, die Quantengravitation von einem reinen, teilweise spekulativen Gedankengebäude auf eine phänomenologischere, durch Beobachtungen überprüfbare Basis zu stellen. „Man kann sich kaum eine aufregendere Zeit vorstellen, um über die Gravitation zu forschen“, konstatiert der Physiker. (Physical Review Letters, 2014; 10.1103/PhysRevLett.112.151301)
(SISSA, 24.04.2014 – NPO)