Vom Wurmmuskel zur Bandscheibe: Die Knorpelstruktur entlang des Rückgrats der Wirbeltiere entstand höchstwahrscheinlich aus einem Muskel. Ein Forscherteam hat durch Genanalysen herausgefunden, dass schon simple Ringelwürmer an dieser Stelle einen Muskel besitzen, der der knorpeligen Chorda der Wirbeltiere und ihrer Vorfahren sehr ähnlich ist. Die Wurzeln dieser wichtigen Struktur im Bauplan der Tiere liegen demnach sehr viel tiefer als bisher angenommen, schreiben die Wissenschaftler im Magazin „Science“.
Solange unsere Bandscheiben gesund sind, spüren wir sie kaum. Die knorpeligen Scheiben liegen zwischen den einzelnen Wirbeln der Wirbelsäule und polstern sie wirkungsvoll gegeneinander ab. Entwicklungsgeschichtlich sind die Bandscheiben hochinteressant: Sie sind ein Überbleibsel der sogenannten Chorda. Dieser parallel zum Rückenmark verlaufende Knorpelstab ist namensgebend für die Gruppe der Chordatiere, aus der sich später die Wirbeltiere entwickelten, zu denen aber heute auch noch die Seescheiden oder Lanzettfischchen gehören. Beim menschlichen Embryo ist die Chorda noch vorhanden, im Laufe der Entwicklung bildet sie sich zu den Bandscheiben um und wird Teil des Rückgrats.
Muskelstrang anstelle der Chorda
Bisher nahmen Wissenschaftler an, dass die Chorda erst relativ spät in der Entwicklungsgeschichte entstand, als sich die Chordatiere von ihren nächsten Verwandten abspalteten. Zu diesen Verwandten ohne Chorda zählen unter anderem auch Seesterne und Seeigel. Forscher um Detlev Arendt vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg stellen diese Sichtweise nun in Frage: Sie untersuchten die genetische Signatur der Chorda, also die Kombination von Genen, die zur Ausbildung einer gesunden Chorda angeschaltet sein müssen.
Überraschenderweise fanden sie genau diese Signatur in Larven des marinen Ringelwurms der Art Platynereis. Mit Hilfe modernster Mikroskopie beobachteten sie, dass die Zellen mit der Chorda-Signatur in den Wurmlarven, einen Muskel bilden, der entlang der Mittellinie des Tieres verläuft – zwar ein Muskel und kein Knorpel, aber dennoch genau dort, wo sich bei einem Chordatier die Chorda befände. Die Ringelwürmer gehören jedoch einem gänzlich anderen Zweig im Stammbaum der Tiere an, der sich noch wesentlich früher von sowohl Chordatieren als auch dem „Seesternzweig“ trennte.