Scharfes Sehen im gesamten Blickfeld? Unmöglich, jedenfalls für das menschliche Auge. Lediglich ein kleiner Bereich im Zentrum der Netzhaut liefert scharfe Bilder – den restlichen Bereich ersetzt das Gehirn anhand von früheren Erfahrungen, wie deutsche Forscher nun im Experiment belegt haben. Unscharfe Eindrücke verknüpft das Gehirn dazu mit bereits gespeicherten scharfen Bildern, erklären sie im Fachmagazin „Journal of Experimental Psychology“.
Wer glaubt, die Welt um sich herum wirklich scharf zu sehen, der irrt: Unsere Augen können in Wahrheit nur einen Bruchteil der Umgebung präzise abbilden. Das liegt daran, dass allein im zentralen Bereich der Netzhaut, der Fovea, echtes Scharfsehen möglich ist. Dieser Bereich entspricht in etwa der Größe eines Daumennagels am Ende eines ausgestreckten Armes. Objekte außerhalb dieser Fläche geben nur ein unscharfes Bild auf der Netzhaut – dennoch erscheint uns die Umgebung scharf und detailliert.
Gehirn ersetzt unscharfe Bilder
Wie unser Gehirn das Scharf-Sehen vorgaukelt, haben die Psychologen Arvid Herwig und Werner Schneider von der Universität Bielefeld mit einer Experimentreihe untersucht. Sie gehen davon aus, dass Menschen im Laufe ihres Lebens in unzähligen Blickbewegungen lernen, den unscharfen Seheindruck von Objekten außerhalb der Fovea mit dem scharfen Bild nach der Augenbewegung zu verknüpfen. Sieht eine Person im Augenwinkel unscharf einen Fußball, vergleicht ihr Gehirn dieses aktuelle Bild mit gespeicherten Bildern von unscharfen Objekten. Findet das Gehirn ein passendes Bild, ersetzt es den unscharfen Eindruck durch ein damit verknüpftes präzises Bild aus dem Gedächtnis.

Mit Hilfe von Eyetracking-Kameras zeichneten die Wissenschaftler die schnellen, sprunghaften Augenbewegungen von Versuchspersonen auf. Während dieser Augenbewegungen, den sognannten Sakkaden, veränderten die Wissenschaftler gezielt einzelne Objekte. Ziel der Experimente war es, den Testpersonen bislang unbekannte Verknüpfungen von unscharfen und scharfen Seheindrücken zu präsentieren. Die Probanden sollten anschließend Merkmale der unscharf wahrgenommenen Objekte beschreiben.