Gesang nach Saison: Hormone steuern den jahreszeitlichen Gesang von Kanarienvögeln, nicht jedoch von deren nahen Verwandten. Warum das so ist, haben Forscher anhand des erstmals entschlüsselten Kanarien-Erbguts herausgefunden: Winzige genetische Unterschiede trennen die Arten voneinander. Kanarienvögel sind darum wichtige Modelltiere für Untersuchungen darüber, wie die hormonabhängige Steuerung von Genen entstanden ist.
Kanarienvögel sind schon seit dem 15. Jahrhundert beliebte Haustiere. Ihr Gesang macht sie aber auch bei Wissenschaftlern beliebt: Die Tiere singen im Verlauf des Jahres unterschiedlich. Ähnlich verändern sich auch verschiedene Hormonspiegel und die Aktivität verschiedener Hirnareale, und die Vögel vermehren sich nur zu bestimmten Jahreszeiten. Damit sind Kanarienvögel wichtige Modelltiere sowohl für die Erforschung des Vogelgesangs, als auch für die molekularen Mechanismen von Hormonen und deren jahreszeitlichen Schwankungen.
Vollständiges Erbgut mit ZW-Chromosomen
Ein Team von Forschern um Carolina Frankl-Vilches vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen hat nun erforscht, wie sich bei Singvögeln die Steuerung von Genen durch Hormone entwickelt hat. Dazu haben die Wissenschaftler erstmals das Erbgut des Kanarienvogels komplett entschlüsselt. Genauer gesagt: Das Erbgut von Kanarienvogel-Weibchen.
Bei den Vögeln haben die Weibchen zwei unterschiedliche Geschlechtschromosomen, nämlich Z und W. Dies ist anders als beim XY-System der Säugetiere, wo Weibchen zwei X-Chromosomen und Männchen ein X- und ein Y-Chromosom besitzen. Das vollständige Erbgut mit allen Chromosomen liefern bei den Vögeln daher Weibchen.
Unterschiede selbst bei eng Verwandten
Im Großen und Ganzen ähnelt das Kanarien-Erbgut dem anderer Vogelarten. Unterschiede zeigen sich erst im Detail: Winzige Unterschiede bei einzelnen Grundbausteinen des genetischen Codes bewirken unterschiedliche Bindungsstellen an Hormonrezeptoren. Dadurch wirken sich Geschlechtshormone wie Östrogene und Androgene unterschiedlich aus. „Solche Unterschiede können selbst bei sehr nah verwandten Arten dazu führen, dass die Gene verschieden stark aktiv sind“, sagt Erstautorin Frankl-Vilches.
An Zebrafinken, die mit Kanarienvögeln eng verwandt sind, lassen sich solche Unterschiede direkt beobachten. Anders als Kanarienvögel haben die Zebrafinken keinen hormongesteuerten, saisonalen Gesang. Ein Vergleich der Gehirnregionen für die Gesangskontrolle zwischen beiden Vogelarten zeigte den Forschern, warum das so ist: Beim Kanarienvogel aktivieren Steroidhormone, zu denen auch die Geschlechtshormone zählen, viele Gene in den Gesangskontrollregionen. Beim Zebrafinken haben diese Hormone dagegen keinen Effekt auf den Gesang.
Die Verdrahtung ist entscheidend
Die beeinflussten Gene scheinen wichtig bei der Neuverdrahtung der Neuronen zu sein, die für die saisonalen Änderungen im Gesang verantwortlich sind. Dies bestätigt den anhand des Erbguts vermuteten Effekt, dass bereits winzige Änderungen im Genom entscheidende Unterschiede zwischen den Arten und damit deren evolutionäre Entwicklung bewirken können.
„Unsere Ergebnisse belegen, dass der Kanarienvogel zu Recht ein zuverlässiges Modelltier für die molekulare Neurobiologie darstellt“, fasst Studienleiter Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie zusammen.“ (Genome Biology, 2015; doi: 10.1186/s13059-014-0578-9)
(Max-Planck-Gesellschaft, 05.02.2015 – AKR)