Geowissen

Anzeichen für unbekannte Grenzschicht im Erdmantel

"Viskositätswand" im unteren Erdmantel blockiert den Materialkreislauf der Erde

Unter der Kruste liegt der Erdmantel - Wissenschaftler haben Hinweise auf eine barriereartige Schicht in seinem unteren Bereich entdeckt. © Kelvinsong/ CC-by-sa 3.0

Barriere im Inneren der Erde: In einer Tiefe von rund 1.500 Kilometern erstreckt sich im unteren Erdmantel offenbar eine Gesteinsschicht, die viel zäher und fester ist als die weicheren Schichten darüber und darunter. Der gigantische Druck presst dort die Mineralien des Erdmantels zu einer Barriere für strömendes Gestein zusammen, wie Geowissenschaftler herausgefunden haben. Die Auswirkungen lassen sich bis an die Erdoberfläche spüren, schreiben die Forscher im Journal „Nature Geoscience“.

Von der Erdkruste bis hinunter zum Erdkern setzt sich die Erde aus mehreren übereinander gelagerten Schichten zusammen. Unterhalb der nur rund 40 Kilometer dicken Kruste befindet sich der Erdmantel. Dieser besteht aus dem oberen Mantel, der in einer Tiefe von rund 660 Kilometern endet, sowie dem unteren Mantel, der bis in eine Tiefe von 2.900 Kilometern hinabreicht. Darunter beginnt der Erdkern.

Überraschung im unteren Erdmantel

Diese Schichten lassen sich deshalb klar voneinander unterscheiden, weil sie jeweils andere Materialien enthalten. Nur die Kruste bildet den festen Boden unter unseren Füßen. Das Gestein des Mantels ist zwar relativ fest, in geologischen Zeitmaßstäben fließt und verformt es sich aber: Es befördert die tektonischen Platten der Kruste, und in seinem Inneren gibt es Strömungen von geschmolzenem Gestein.

Zwischen den bereits bekannten Schichten sind Hauke Marquardt von der Universität Bayreuth und Lowell Miyagi von der University of Utah in Salt Lake City nun auf eine Überraschung gestoßen: Sie haben Anzeichen für eine bisher unbekannte Schicht innerhalb des unteren Erdmantels gefunden, in einer Tiefe von etwa 1.500 bis 1.700 Kilometern Tiefe. Sie besteht jedoch nicht aus einem anderen Material: Stattdessen ist das Mineral Ferroperiklas, ein Hauptbestandteil des Erdmantels, hier viel zäher und fester als in den umliegenden Schichten. Darunter nimmt die Viskosität wieder ab, das Gestein wird wieder flüssiger.

Das Innere einer Diamantstempelzelle: Damit erzeugen die Forscher einen Druck wie im Erdmantel. Die Spitzen sind nicht viel breiter als ein menschliches Haar. © Hauke Marquardt, Bayerisches Geoinstitut, Universität Bayreuth

Millionenfacher Atmosphärendruck

Untersucht haben die Wissenschaftler diese neue Schicht selbstverständlich nicht vor Ort im Erdmantel. Stattdessen haben sie die dort herrschenden Bedingungen simuliert: Mit sogenannten Diamantstempelzellen pressten sie Ferroperiklas-Kristalle mit immer höherem Druck zusammen. Die Forscher erreichten schließlich einen Druck von fast 100 Gigapascal. Das ist etwa eine Million Mal höher als der Atmosphärendruck an der Erdoberfläche.

Die Struktur dieser zusammen gepressten Kristalle untersuchten die Wissenschaftler anschließend mit Hilfe von Röntgenstrahlen. Es stellte sich heraus, dass die mit 65 Gigapascal gepressten Ferroperiklas-Kristalle ungefähr dreimal so fest und zäh waren wie die Kristalle, die lediglich einen Druck von 20 Gigapascal aushalten mussten. Mischten die Forscher jedoch einen weiteren Hauptbestandteil des unteren Mantels hinzu, das erst vor kurzem benannte Mineral Bridgmanit, so steigt bei derselben Druckerhöhung die Viskosität sogar um das 300-Fache an. Ab einer Tiefe von etwa 1.700 Kilometern nimmt die Viskosität wieder ab, das Gestein wird wieder flüssiger.

Materialstau im Erdmantel

Eine derart hochviskose Schicht im unteren Erdmantel könnte einige seismische Beobachtungen erklären, die der Forschung bisher Rätsel aufgegeben haben, so Marquardt. Zwischen der Erdkruste und dem unteren Erdmantel in einer Tiefe bis zu 2.900 Kilometern findet ein ständiger Materialkreislauf statt. Vor allem durch Vulkane und an mittelozeanischen Rücken gelangt festes und geschmolzenes Gestein an die Oberfläche. Hingegen wird Material aus der Erdkruste in die Tiefe transportiert, wenn sich eine tektonische Platte unter eine andere schiebt und immer weiter ins Erdinnere absinkt.

Die Grafik zeigt, wie sich Gesteinsmaterial oberhalb der hochviskosen Schicht anstaut. Falls es diese "Wand" doch durchdringen kann, wird das Absinken in die Tiefe möglicherweise beschleunigt. © Hauke Marquardt, Bayerisches Geoinstitut, Universität Bayreuth

„Dieser Prozess gerät jedoch häufig ab einer Tiefe von rund 1.000 Kilometern ins Stocken“, erklärt Marquardt. Bisher haben Forscher jedoch keine Erklärung für den „Materialstau“ von angesammeltem Gestein, der seismischen Beobachtungen zufolge ab dieser Tiefe in immer größerer Menge autritt. „Nimmt man jedoch an, dass eine hochviskose und daher schwer zu durchdringende Erdschicht die Abwärtsbewegung des Materials bremst, wird sofort plausibel, weshalb wir an vielen Stellen dicht oberhalb von 1.500 Kilometern große Mengen von Krustenmaterial beobachten können.“

Hohe Temperaturen, tiefe Erdbeben

Diese „Sperrschicht“ hat Konsequenzen: Ist der stetige Materialkreislauf zwischen der Kruste und dem Erdmantel systematisch gestört, kann auch weniger Hitze mit aus dem tiefen Erdinnern aufsteigendem Material an die Erdoberfläche entweichen. Möglicherweise herrscht daher am unteren Ende des Erdmantels und im Erdkern eine viel größere Hitze als bisher angenommen.

Zudem halten die Geowissenschaftler es für möglich, dass die Blockade des absinkenden Gesteinsmaterials Erdbeben verursachen kann. Diese entstehen normalerweise durch Spannungen innerhalb der Erdkruste, also relativ dicht unterhalb der Erdoberfläche. Wenn aber Gesteinsmassen auf ihrem Weg in die Tiefe gegen eine „Viskositätswand“ stoßen und abgebremst werden, kann sich das nachfolgende Gestein aufstauen und aufreißen. In diesem Fall kommt es zu Erdbeben in größeren Tiefen, die ihre Ursache aber in Prozessen im unteren Erdmantel haben.

Rätselhafte Vulkan-Unterschiede

Die hochviskose Schicht im Erdmantel erklärt noch ein weiteres Rätsel, das sich auch an der Oberfläche beobachten lässt: Ozeanische Vulkane unterscheiden sich auffallend in den Eigenschaften des von ihnen ausgeworfenen Magmas. Dabei handelt es sich oft um relativ junges Material aus aufgeschmolzener Erdkruste. In anderen Fällen aber gelangt älteres Gestein an die Oberfläche, das eine andere chemische Zusammensetzung hat und möglicherweise einem tieferliegenden Reservoir entstammt.

Diese Unterschiede lassen sich nach Ansicht der Forscher damit erklären, dass die neu entdeckte Schicht die Durchmischung des Erdmantels vermindert: Es findet nur ein geringer Austausch der Materialien statt, die sich oberhalb und unterhalb dieser Schicht befinden. (Nature Geoscience, 2015; doi: 10.1038/NGEO2393)

(Universität Bayreuth, 25.03.2015 – AKR)

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