Vielfältig und resistent: Die Bakterien im Körper der Yanomami sind so artenreich wie bei keinem zuvor analysierten Menschen – ein Hinweis darauf, wie stark unsere westliche Lebensweise unsere mikrobiellen Mitbewohner verändert hat. Überraschend auch: Das isolierte Amazonasvolk trägt bakterielle Resistenzen selbst gegen modernste synthetische Antibiotika, obwohl sie nie in Kontakt mit der modernen Medizin waren, wie Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Jeder von uns trägt mehr Mikroben im Körper als eigene Zellen. Die meisten dieser Mitbewohner sind nicht nur harmlos, sie sind auch essenziell für unsere Gesundheit. Sie beeinflussen unser Immunsystem, helfen bei der Verdauung und beeinflussen vermutlich sogar, was wir essen. Auch für die Weitergabe von Resistenzen an Krankheitserreger spielt die Darmflora eine wichtige Rolle.
Isoliertes Amazonasvolk
Bei jedem von uns ist das Mikrobiom durch typische Einflüsse der Zivilisation wie industriell hergestellte Lebensmittel und die Einnahme von Antibiotika und anderen Medikamenten geprägt. „Aber wie stark sich das menschliche Mikrobiom durch unseren westlichen Lebensstil verändert hat, war bisher unbekannt“, erklären Jose Clemente von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York und seine Kollegen. Um das herauszufinden, haben sie nun erstmals das Mikrobiom der Yanomami analysiert.
Dieses erst in den 1960er Jahren entdeckte Volk lebt als Jäger und Sammler im Amazonasgebiet. In Venezuela existierten bis heute halbnomadische Gruppen der Yanomami, die von der modernen Zivilisation weitgehend isoliert sind. In einem dieser Dörfer nahmen die Forscher von 34 Bewohnern Speichel- und Kotproben und machten Hautabstriche, analysierten diese auf ihre Mikrobenzusammensetzung und verglichen diese Ergebnisse mit Analysen von Menschen aus den USA und von Amazonas-Stämmen mit intensivem Kontakt zu westlicher Lebensweise
Mikrobiom viel artenreicher
Das Ergebnis: Die Yanomami tragen weitaus mehr unterschiedliche Bakterien und andere Mikroben in sich als jedes andere bekannte Volk. Das Mikrobiom von Menschen, die in typischen westlichen Gesellschaften leben, ist im Vergleich rund 40 Prozent artenärmer, wie die Forscher berichten. Zudem ist bei den Yanomami keine Bakteriengruppe eindeutig dominant. Bei Menschen in den USA sind dagegen typischerweise Bakterien der Arten Staphylococcus, Corynebacterium, Neisseria und Propionibakterien besonders stark vertreten.
Resistenzgene selbst gegen synthetische Antibiotika
Die Forscher entdeckten auch etwas Unerwartetes: Das Mikrobiom der Yanomami enthielt überraschend viele Gene, die Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika verliehen. „Diese Menschen hatten nie Kontakt mit modernen Antibiotika“, sagt Koautorin Erica Pehrsson von der Washington University in St. Louis. Der einzige Weg, auf dem sie antibiotische Substenzen aufgenommen haben können, sind Mikroben im Boden, die diese Substanzen natürlicherweise herstellen.
Doch wie sich zeigte, enthielten die Kot- und Speichelproben der Yanomami nicht nur Resistenzgene, die natürliche Antibiotika deaktivieren, sondern auch solche, die gegen halbsynthetische und synthetische Wirkstoffe wirken. „Unter diesen Resistenzgenen waren auch solche, die gegen Cephalosporine der dritten und vierten Generation wirken – Medikamente, die wir für die schlimmsten Infektionen in Reserve halten“, berichtet Koautor Gautam Dantas von der Washington University. „Es war alarmierend, in diesem Volk Gene zu finden, die diese modernen, synthetischen Wirkstoffe deaktivieren können.“
Resistenzen auf Abruf?
Wie diese Resistenzen ohne jeden Kontakt mit den entsprechenden Wirkstoffen im Mikrobiom des isolierten Amazonasvolks entstehen konnten, ist bisher unklar. Die Forscher vermuten jedoch, dass Kreuzresistenzen dafür eine Rolle spielen könnten. Das bedeutet, dass die Immunität gegen synthetische Wirkstoffe quasi zufällig und als Nebenwirkung bei Resistenzmechanismen auftritt, die eigentlich gegen antibiotische Wirkstoffe aus der Umwelt entwickelt wurden.
Nach Ansicht der Forscher könnte das auch erklären, warum auch bei uns Resistenzen gegen neue Medikamente oft so schnell entstehen: Sie sind schon da, werden aber erst bemerkt und aktiv, wenn sie mit den entsprechenden Antibiotika in Kontakt kommen. (Science Advances, 2015; doi: 10.1126/sciadv.1500183)
(NYU Langone Medical Center / New York University School of Medicine / Washington University School of Medicine, 20.04.2015 – NPO)