Neuer Ansatz: Forscher haben herausgefunden, warum sich die Erblindung bei manchen Diabetikern nicht aufhalten lässt. Es gibt einen zuvor unbekannten Schuldigen – ein Molekül in der Augenflüssigkeit, dass das fatale Einwachsen der Adern in die Netzhaut begünstigt. Dieses Protein erwies sich in Zellkulturen und Tierversuchen bereits als vielversprechendes Ziel für Medikamente, schreiben die Forscher im Magazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Die Zuckerkrankheit Diabetes bringt bei vielen Betroffenen langfristig auch das Augenlicht in Gefahr: Bei der sogenannten diabetischen Retinopathie bilden sich in der Netzhaut des Auges durchlässige Blutgefäße. Aus diesen treten Blut und Serum aus, was die lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut schädigt. Bei bis zu neun von zehn Diabetikern lassen sich im Laufe der Zeit Anzeichen dieser Krankheit feststellen. In besonders schweren Fällen führt die diabetische Retinopathie zu Blindheit – bei Menschen im Alter von 20 bis 65 ist sie in Europa die häufigste Ursache für Erblindung.
Stoppen anstatt bremsen
Um die fortschreitende Erkrankung zu stoppen, versiegeln Mediziner die krankhaft erweiterten Blutgefäße bisher mit Laserstrahlen. Dieser Behandlungsmethode fallen allerdings oft die Nachtsicht und das Sehen im Randbereich des Blickfeldes zum Opfer. Ein anderer Therapieansatz ist darum, das Wachstum der fehlerhaften Blutgefäße in der Netzhaut von vorneherein zu unterbinden. Bisherige Medikamente waren dabei allerdings nur begrenzt erfolgreich: Sie können den Verlauf der Krankheit zwar verlangsamen, aber nicht stoppen oder verhindern.
Mediziner unter der Leitung von Akrit Sodhi von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore haben nach einer Erklärung für diesen geringen Erfolg gesucht. Sie untersuchten dazu Flüssigkeit aus den Augen von gesunden Menschen sowie von Diabetikern mit und ohne erkennbare diabetische Retinopathie. In den Proben bestimmten sie zunächst den Gehalt eines Proteins namens VEGF. Dieses fördert bekanntermaßen das Wachstum von Blutgefäßen – existierende Medikamente gegen die Retinopathie hemmen darum diesen Wachstumsfaktor.
Wichtige Rolle, aber nicht der einzige Faktor
Dabei fanden die Forscher Überraschendes: Während die Augenflüssigkeit von Patienten mit diabetischer Retinopathie zwar generell mehr VEGF enthielt, gab es auch Ausnahmen. Manche der Proben enthielten deutlich weniger von diesem Wachstumsfaktor als selbst die Proben der gesunden Menschen. In einem Labortest förderte diese Augenflüssigkeit dennoch das Wachstum von Blutgefäß-Zellen – auch nahezu ohne den bekannten Wachstumsfaktor VEGF.
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass VEGF zwar eine wichtige Rolle spielt, aber nicht der einzige Faktor ist“, sagt Sodhi. In weiteren Experimenten an Mäusen und Laborkulturen menschlicher Zellen fanden die Forscher einen zweiten Schuldigen: ein Protein namens „Angiopoietin-like 4“. Darum blockierten die Mediziner sowohl diesen neu identifizierten Faktor als auch das bekannte VEGF. Ergebnis: Die Blutgefäße in den Zellkulturen wuchsen deutlich langsamer, als wenn die Forscher VEGF allein ins Visier nahmen.
Ein Medikament, das auf das Angiopoietin-like 4 zielt, könnte künftig zusammen mit Mitteln gegen VEGF nicht nur die diabetische Retinopathie stoppen und die Patienten vor Blindheit retten. Sodhi und Kollegen untersuchen außerdem, ob dieser Wachstumsfaktor auch in anderen Augenkrankheiten eine Rolle spielt, beispielsweise bei Makuladegeneration. (PNAS, 2015; doi: 10.1073/pnas.1423765112)
(Johns Hopkins Medicine, 26.05.2015 – AKR)