Biologie

Geheimnis des Haar-Eises gelüftet

Faszinierende Eisformation wird erst durch einen Holz-Pilz ermöglicht

Feine Härchen aus gefrorenem Wasser: Haar-Eis auf einem toten Ast. © Christian Mätzler / CC-by-nc-sa 4.0

Zarte Schönheit aus Eis: Nach 100 Jahren haben Forscher endlich das ungewöhnliche Phänomen des Haar-Eises enträtselt. Diese Büschel feiner Eishaare wachsen bei Frost manchmal auf Totholz. Warum das Eis aber so feine, lange Haare bildet, war unklar. Jetzt zeigt sich: Ein Pilz ist entscheidend an diesen Phänomen beteiligt. Denn er sondert Moleküle ab, die große Eiskristalle verhindern und die feinen Eisstrukturen erst möglich machen, wie Forscher im Fachmagazin „Biogeosciences“ berichten.

Schon Alfred Wegener staunte vor knapp 100 Jahren über dieses Phänomen: Zarte weiße Büschel aus feinsten Eishaaren, die auf totem Holz sitzen. „Als wir dieses Haar-Eis zum ersten Mal bei einem Waldspaziergang sahen, waren wir von seiner Schönheit überrascht“, sagt Christian Mätzler vn der Universität Bern. Die Eishaare sind nur 0,02 Millimeter dick, aber können bis zu 20 Zentimeter lang werden. „Sie bilden wunderschöne Strukturen wie Locken und Wellen, manchmal mit einem klaren Scheitel oder Zonen, aber ohne sich zu verzweigen“, beschreiben die Forscher das Phänomen.

Morgens ist es wieder weg

Typischerweise kann man das Haar-Eis bei Frost in den Laubwäldern Mitteleuropas beobachten – allerdings nur, wenn die Bedingungen stimmen. Denn das zarte Eis bildet sich nur bei Temperaturen knapp unter Null, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist und kein Wind weht. Meist ist dies in kühlen Nächten der Fall, morgens schmilzt es dann schnell wieder weg. Es sitzt meist auf totem Holz, manchmal aber auch an Bäumen, die noch aufrecht stehen.

Das Haar-Eis ist sehr fragil und schmilzt schnell. © Hofmann et al., Biogeosciences, 2015/ CC-by-sa 4.0

Warum aber bildet Haar-Eis diese ungewöhnliche Form? Um dieser Frage nachzugehen, haben Mätzler, Diana Hofmann vom Forschungszentrum Jülich und ihre Kollegen dieses seltsame Phänomen sowohl physikalisch, als auch chemisch und biologisch genauer untersucht. Sie führten zudem eine Reihe von Experimenten durch und kamen so der Ursache der Eishaare auf die Spur.

Kein Haar-Eis mehr nach Fungizid

Wie sich zeigte, ist der treibende Mechanismus für das Haar-Eis ein physikalischer Prozess: Sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt, beginnt das Wasser an der Holzoberfläche zu gefrieren. Dabei setzt es latente Wärme frei, die auf das Holz übertragen wird. Weil das Eis beim Weitergefrieren immer mehr Wasser aus den Holzporen anzieht, bildet sich ein Kristall, der etwa den Durchmesser dieser Poren besitzt.

Das allerdings erklärt noch nicht die ungewöhnlich haarige Form dieses Eises. Es muss daher noch einen anderen Faktor geben. Tatsächlich zeigte ein Experiment, dass Totholz, das ein Bad in kochendem Wasser erhalten hat, später auch bei idealen Bedingungen kein Haar-Eis mehr produziert. Einen ähnlichen Effekt hatte ein Besprühen mit einem starken Fungizid. Sollte ein Pilz für die Haare verantwortlich sein?

Von einem Pilz freigesetzt Moleküle verhelfen dem Eis zu seiner verblüffend haarähnlichen Form. © Gisela Preuß/ CC-by-nc-sa 4.0

Pilz macht Haarbildung möglich

Um das zu überprüfen, untersuchten die Forscher Proben von Holzstücken, auf denen Haar-Eis wuchs, mit Hilfe verschiedener Mikroskopiertechniken. Und sie wurden fündig: Alle Holzproben waren von feinen Pilzhyphen durchzogen. „Der Pilz Exidiopsis effusa war dabei in mehr als der Hälfte der Proben als einige Pilzart anwesend“, berichtet die Biologin Gisela Preuß. Sie schließt daraus, dass dieser Pilz eine entscheidende Rolle für die Eishaare spielen muss. Er kommt in Laufwäldern häufig vor und gilt als Verursacher der sogenannten Weißfäule bei Totholz.

„Ohne diesen Pilz entsteht auf dem Totholz die gleiche Menge an Eis, aber statt der feinen Haare bildet es nur eine krustenähnliche Struktur“, erklärt Mätzler. „Erst der Pilz macht es dem Eis möglich, die feinen Haare zu bilden und ihre Form über viele Stunden zu halten.“ Die Forscher vermuteten, dass der Pilz bestimmte Substanzen freisetzt, die die Kristallisation des Eises beeinflusst und so verhindert, dass sich große, unförmige Kristalle bilden.

Lignin-Abbauprodukte als Formbildner

Dies bestätigte sich in weiteren Untersuchungen. Denn im geschmolzenen Haar-Eis wiesen die Forscher Fragmente der Moleküle Lignin und Tannin nach. Diese ursprünglich in den Zellwänden des Holzes eingelagerten Substanzen werden offenbar vom Pilz abgebaut und ihre Bruchstücke dann freigesetzt. Dabei scheinen vor allem die Abbauprodukte von Lignin für die Bildung des Haar-Eises besonders wichtig zu sein.

„Diese Komponenten könnten daher diejenigen sein, die die Bildung großer Eiskristalle auf der Holzoberfläche verhindern“, erklärt Hofmann. Wie genau dies geschieht und warum dann die langen, dünnen Eishaare entstehen, ist allerdings noch ungeklärt. Aber zumindest die Hauptakteure des seit hundert Jahren rätselhaften Phänomens haben die Forscher damit identifiziert. (Biogeosciences, 2015; doi: 10.5194/bg-12-1-2015)

(European Geosciences Union (EGU), 23.07.2015 – NPO)

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