Genetik

Forscher finden Genschalter für Übergewicht

Austausch nur einer DNA-Base fördert Fettspeicherung statt Fettverbrennung

Übergewicht ist auch Veranlagung - ein wichtiger Genschaller dafür wurde jetzt gefunden. © amanaimagesRF/ iStock.com

Nur ein falscher Buchstabe: Forscher haben den Genort dingfest gemacht, der bei vielen Menschen die Veranlagung zu Übergewicht bewirkt. Wie sich zeigt, reicht der Austausch nur einer einzigen DNA-Base im Erbgut der Fettzellen aus, um den Schalter zwischen Fettverbrennung und Fettspeicherung umzulegen. Die gute Nachricht: Im Experiment gelang es den Forschern bereits, diesen Fehler zu korrigieren, wie die im „New England Journal of Medicine“ berichten.

Über 500 Millionen Menschen weltweit gelten als schwer übergewichtig oder sogar fettleibig,

davon rund 15 Millionen in Deutschland. Dass dafür die Lebensweise, bestimmte und sogar die Darmflora eine Rolle spielt, ist naheliegend. Aber welchen Einfluss hat die genetische Veranlagung? Immerhin scheint es kein Zufall, dass in manchen Familien Dicksein gehäuft vorkommt.

Wo sitzt der Genschalter?

„Übergewicht wird traditionell als Missverhältnis zwischen der Menge an Nahrung, die wir essen und dem Maß an Bewegung angesehen“, erklärt Seniorautor Manolis Kellis vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Aber diese Sicht ignoriert den Beitrag der Genetik zu unserem Stoffwechsel.“ Tatsächlich haben Forscher in den letzten Jahren mehrere Genregionen identifiziert, deren Veränderung Übergewicht begünstigen könnte.

2007 stießen Forscher auf Veränderungen innerhalb des sogenannten FTO-Gens, die sich sogar als besonders einflussreich erwiesen: Immerhin rund 22 Prozent des Risikos bei allgemein auftretendem Übergewicht ließen sich auf diese Genvarianten zurückführen. Das FTO-Gen gilt seither als einer der wichtigsten Kandidaten für einen genetischen Schalter des Übergewichts. Bisher blieb aber unklar, über welchen Mechanismus diese Genregion beim Menschen Übergewicht verursacht.

Wirkung direkt in den Fettzellen

„Viele Studien haben versucht, die FTO-Region mit Gehirnbereichen in Verbindung zu bringen, die den Appetit oder die Neigung zu körperlicher Aktivität kontrollieren“, erklärt Hauptautorin Melina Claussnitzer von der TU München. Ob das stimmt, haben sie und ihre Kollegen nun im Rahmen des „Roadmap Epigenomics Project“ untersucht. Dafür analysierten sie, in welchen Gewebetypen die FTO-Region am stärksten angeschaltet oder auch epigenetisch verändert war – ein Zeichen für besondere genetische Aktivität.

Das überraschende Ergebnis: Die stärksten Abweichungen in der FTO-Region zeigten sich nicht im Gehirn, sondern in den Fettzellen. „Wir konnten zeigen, dass die regulatorische Region innerhalb von FTO am stärksten in Vorläuferstufen von Fettzellen wirkt – unabhängig von Schaltkreisen im Gehirn“, so Claussnitzer. Das legt nahe, dass die Wurzel eines durch FTO-bedingten Übergewichts direkt an diesen Zelle und der Fettverbrennung in ihnen ansetzt.

Fettspeicherung statt Fettverbrennung

Um herauszufinden, was die FTO-Region bewirkt, untersuchten die Forscher Proben aus Fettgewebe von Menschen, die entweder die normale oder die Risikoregion des FTO-Gens trugen. Das Ergebnis: Nur in der Risiko-Gruppe waren zwei bestimmte Gene – IRX3 und IRX5 – angeschaltet. Diese aktivieren wiederum einen Prozess, der die Vorläuferzellen dazu bringt, die Fähigkeit zur Fettverbrennung zu verlieren. Als Folge entstehen Zellen, die das Fett speichern statt es zu verbrennen.

Nur eine Base ist verändert © schulergd / freeimages

Doch nicht nur den Mechanismus, sondern auch die exakte genetische Ursache konnten die Forscher in ihrer Studie entschlüsseln. Sie fanden eine einzige Base innerhalb der Region des FTO-Gens, die bei der Risiko-Variante verändert war. Bei Übergewichtigen stand hier ein Thymin statt eines Cytosins. Dieser Austausch reichte, um sowohl IRX3 als auch IRX5 anzuschalten.

Hoffnung auf neue Therapien

Die gute Nachricht: Da nun der „Täter“ bekannt ist, lässt er sich auch gezielt ausschalten. Im Experiment gelang es den Forschern bereits, diesen Defekt in menschlichen Fettzellen mit gentechnischen Methoden zu beheben. Als Folge funktionierten die Fettzellen wieder normal und steigerten die Fettverbrennung und Wärmebildung, statt Fett zu speichern.

„Die Kenntnis der ursächlichen Genvariante hinter dem Übergewicht könnte es uns ermöglichen, eine somatische Gentherapie einzusetzen“, sagt Kellis. „Indem wir diesen Gen-Schaltkreis manipulieren, könnten wir zwischen Energiespeicherung und Verbrauch sowohl auf der zellulären Ebene als auch beim ganzen Körper umschalten. Das bietet neue Hoffnung für ein Heilmittel gegen Übergewicht.“ (New England Journal of Medicine, 2015; doi: 10.1056/NEJMoa1502214)

(TU München / MIT, 20.08.2015 – NPO)

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