Von wegen hart und stabil: Die tiefe Wurzel des nordamerikanischen Kontinents liegt nicht dort, wo sie sein müsste. Stattdessen ist dieser Gesteinssockel um 850 Kilometer nach Südwesten verschoben, wie Geoforscher entdeckten. Dies aber widerlegt die gängige Lehrmeinung, nach der diese Kratonwurzeln eigentlich Jahrmilliarden unterverändert bleiben müssten, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.
Die Kontinente der Erde sind nicht statisch: Im Verlauf von hunderten Millionen Jahren wandern sie, brechen auseinander und schieben sich wieder zusammen. Dennoch sind die Kerngebiete der Kontinente geologisch sehr stabil – zumindest in Maßen. Denn 2014 fanden Geologen Indizien dafür, dass sich die Platten selbst innerhalb der Kontinente verziehen und biegen können.
Die tiefen Wurzeln unserer Landmassen jedoch, die sogenannte Kratone, haben sich gängiger Annhame nach seit ihrer Entstehung vor 2,5 bis 3,8 Milliarden Jahren nicht wesentlich verändert – so dachte man jedenfalls bisher. „Der Schlüssel für die Erhaltung der Kratone liegt in ihren starken und dicken lithosphärischen Wurzeln“, erklären Mikhail Kaban vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und seine Kollegen. Diese Gesteine am Übergang von der Erdkruste zum Mantel galten als zu hart und zudem zu leicht, um von den Konvektionsströmungen des Erdmantels beeinflusst zu werden.
850 Kilometer verschoben
Doch wie Kaban und seine Kollegen nun feststellten, sind die Kratone offenbar weniger steinhart und widerstandsfähig als bisher gedacht. So hat sich der untere Teil der Wurzel des nordamerikanischen Kontinents beispielsweise um 850 Kilometer nach Westsüdwest verschoben, wie die Auswertung von Daten aus Schwerefeld-Messungen, Topographie, Seismologie und Krustenstruktur ergab. „Dieses Ergebnis spricht sehr dafür, dass es am unteren Teil der kratonischen Lithosphäre eine Zugströmung gibt“, so die Forscher.
Woher kommt diese Verformung des doch so stabilen und harten Kratons? Ein Grund ist die Zusammensetzung des Gesteins in diesen tiefen Sockeln der irdischen Landmassen: „Die kratonische Wurzel unterhalb von 175 Kilometern Tiefe unterscheidet sich chemisch, thermisch und in ihren Fließeigenschaften von dem darüberliegenden Rest der Wurzel“, erklären Kaban und seine Kollegen. „Damit erweist sich der Kraton als doch nicht so hart und temperaturbeständig, wie bisher angenommen.“
Alte Sichtweise widerlegt
Ein Modell der Strömungen im Erdmantel unter Nordamerika ergab, dass das Gestein der Kratonwurzel unterhalb von 225 Kilometern Tiefe mit rund vier Millimetern pro Jahr nach Südwesten gezogen wird. Rechnet man dies zurück, dann könnte der heutige Versatz der Kratonwurzel um 850 Kilometer vor rund 200 Millionen Jahren begonnen haben, wie die Forscher erklären. Das stimme gut mit dem Zeitpunkt überein, als sich der Atlantik öffnete und sich dadurch auch die Strömungen im Mantel änderten.
„Unsere Beobachtungen widersprechen damit der konventionellen Sicht auf die Kratons als statischen, sich nicht entwickelnden geologischen Strukturen“, konstatieren Kaban und seine Kollegen. Stattdessen gebe es entschieden mehr mechanische, chemische und thermische Wechselwirkungen zwischen dem jahrmilliardenalten Gestein der Kratons und ihrer Umgebung im oberen Erdmantel. (Nature Geoscience, 2015; doi: 10.1038/ngeo2525)
(Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 08.09.2015 – NPO)