Chemie

Kleinster Schraubenschlüssel der Welt konstruiert

1,7 Nanometer kleines Molekül ermöglicht die gezielte chemische Manipulation

Wie ein Schraubenschlüssel hält das blaue Molekül ein ringförmiges Molekül (grün) fest. Dieses hat in seinem Inneren ein weiteres Molekül einschlossen (gelb). © Severin Schneebeli

Ein Werkzeug für Moleküle: Chemiker haben den kleinsten Schraubenschlüssel der Welt konstruiert. Er besteht aus einer C-förmigen Verbindung, die kleinere Moleküle umschließen kann. Mit diesem Nano-Schraubenschlüssel können Forscher gezielt die chemischen Eigenschaften dieser Moleküle manipulieren und so neue, maßgeschneiderte Materialien erzeugen.

In der Chemie gibt es viele Moleküle, die eine Händigkeit besitzen. Sie kommen in zwei spiegelsymmetrischen Formen vor, die man nicht durch Drehen ineinander umwandeln kann. Oft haben solche chiralen Moleküle chemisch ganz verschiedenen Eigenschaften und die meisten Lebensbausteine wie die DNA oder Aminosäuren existieren nur in einer chiralen Form.

„Sie sind wie Legos“

Severin Schneebeli von der University of Vermont und sein Team haben sich diese Chiralität nun zunutze gemacht, um ein neues Werkzeug für die Nanowelt zu konstruieren. Ihr Ausgangstoff war die in Steinkohle enthaltene Kohlenwasserstoffverbindung Anthracen. Sie besteht normalerweise aus drei durch mehrere Doppelbindungen verknüpften Ringen.

Doch im Experiment stellten die Chemiker fest, dass sich die Komponenten des Anthracens auch als Nano-Schraubschlüssel eignen. Denn sie binden sich mit Doppelbindungen in nur einer chiralen Konfiguration aneinander, so dass ein festes C-förmiges Gebilde entsteht. „Sie sind wie Legos – sie haben nur eine feste Form und behalten sie auch“, erklärt Schneebeli. Selbst Lösungsmittel oder verschiedenen Temperaturen verändern den C-förmigen Nanoschraubenschlüssel nicht.

Der c-förmige Nano-Schraubenschlüssel lagert sich an ein Pillararen-Molekül an und zwingt es so in eine bestimmte Konfiguration© University of Vermont

Sitzt fest wie ein Schlüssel an der Mutter

Genau das aber macht ihn so praktisch: Die C-Form kann sich um andere Moleküle herum aufbauen und sie in ihrem Hohlraum durch Bindungen festhalten. „Ähnlich wie ein fünfeckiger Schraubenkopf in einen Schraubenschlüssel passt“, erklärt Schneebeli. Dieser Schraubenschlüssel ist allerdings hunderttausend Mal kleiner als ein menschliches Haar – rund 1,7 Nanometer.

Wie der Nano-Schraubenschlüssel funktioniert, testeten die Forscher, indem sie an ringförmigen Makromolekülen, sogenannten Pillararenen, einsetzten. Diese Moleküle gelten als praktische Nanokäfige, die selbst wiederum kleinere Moleküle einschließen können. Ihre Eigenschaften zu modifizieren, ist daher für künftige Anwendungen wichtig.

Schraubenschlüssel „tunt“ Moleküle

Und es funktionierte: Die C-förmigen Schraubenschlüssel-Moleküle lagerten sich außen an die Pillararen-Ringe an und zwangen sie dadurch in eine bestimmte Konfiguration. „Indem sie die Pillararene einschließen, könne die C-förmigen Streifen die Wechselwirkungen des Pillararens mit anderen Molekülen beeinflussen“, so die Forscher.

Mit anderen Worten: So wie ein Mechaniker durch Justierung von Schrauben einen Motor oder eine andere Maschine einstellt, so könne die Chemiker mit ihrem Nano-Schraubenschlüssel auch die chemischen Eigenschaften von Molekülen wie den Pillararenen justieren. So kann der Schraubenschlüssel die Ringmoleküle beispielsweise dazu bringen, die Molekülfracht in ihrem Inneren hundertfach stärker zu binden als normalerweise.

Vom „C“ zur Spirale

Der Nano-Schraubenschlüssel eröffnet damit neue Möglichkeiten, maßgeschneiderte Moleküle herzustellen – von winzigen Arzneimittel-Fähren für die Medizin bis zu neuartigen Polymeren und anderen synthetischen Materialien. Denn durch die Chiralitäts-assistierte Synthese, so der Fachausdruck, lässt sich gezielt kontrollieren, welche Konfiguration oder funktionellen Gruppen ein Molekül annimmt.

Schneebeli und sein Team arbeiten inzwischen daran, ihren Nano-Schraubenschlüssel weiterzuentwickeln. Als nächstes wollen sie mehrere dieser C-förmigen Moleküle zu einer Art Spirale verbinden. „Diese helikale Form wäre flexibel und gleichzeitig extrem formbeständig“, erklärt der Chemiker. „Damit könnte man neue Materialien herstellen, beispielsweise für Sicherheitshelme oder die Raumfahrt.“ (Angewandte Chemie International Edition, 2015; doi: 10.1002/anie.201506793)

(University of Vermont, 25.09.2015 – NPO)

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