Typische Hirnaktivitätsmuster bestimmen das Verhalten
Dazu beobachteten sie zunächst, wie sich einzelne Mäusemännchen gegenüber Jungtieren verhielten, fürsorglich oder aggressiv. Dann überprüften sie die Aktivität eines Gens namens c-Fos in neun bestimmten Regionen im Vorderhirn der Mäuse. Dieses Gen gilt als zuverlässiger Marker, mit dem sich Aktivität in einer Hirnregion auch nach einer gewissen Zeit noch nachweisen lässt.
Bei dieser Suche wurden die Forscher fündig: Eine Hirnregion namens cMPOA war besonders aktiv, wenn die Tiere sich väterlich um die jungen Mäuse kümmerten. Waren sie dagegen aggressiv, zeigte die BSTrh-Region stärkere Aktivität. Dies funktionierte so genau, dass die Forscher sogar umgekehrt von den c-Fos-Werten auf das Verhalten der Mäuse schließen konnten und dabei in über 95 Prozent der Fälle richtig lagen.
Interessanterweise traten diese typischen Aktivitätsmuster nicht nur dann auf, wenn sich die Mäusemännchen tatsächlich so verhielten. Die bloße Absicht reichte bereits aus. Dies überprüften die Forscher, indem sie die Jungtiere in Sicht der Männchen, aber durch ein Drahtgitter von diesen getrennt hielten. „Dies ist das erste Mal, dass wir die Absichten eines Individuums zu bestimmtem Sozialverhalten einfach an Aktivitätsmustern in einer kleinen, festgelegten Hirnregion erkennen können“, betont Kuroda.
Fürsorge lässt sich mit Licht anschalten
War eine der beiden verantwortlichen Hirnregionen durch eine Verletzung deaktiviert, so zeigten die Mäuse erwartungsgemäß das jeweils andere Verhalten. Die Neurowissenschaftler wollten jedoch auch wissen, wie der Wechsel von einem zum anderen Verhaltensmuster geschieht. Sie fanden heraus, dass vor allem hemmende Nervenverbindungen von der „Väterlichkeitsregion“ cMPOA zur „Kindsmordregion“ BSTrh existierten. Daher vermuteten die Forscher, dass eine Aktivierung von cMPOA das aggressive Verhalten abschaltet, so dass die väterliche Fürsorge überwiegt.
Dies überprüften sie mit Hilfe der sogenannten Optogenetik: Bei dieser Methode erstellen Forscher durch Genmanipulation Nervenzellen, die auf Licht reagieren und dann entweder aktivierende oder hemmende Signale feuern. Über Glasfasern lassen sich so ganz gezielt bestimmte Hirnregionen ansteuern. Aktivierten die Wissenschaftler auf diese Weise die cMPOA-Region, so ließen nach wenigen Tagen auch zuvor aggressive Mäusemännchen von den Jungtieren ab und verhielten sich stattdessen väterlich.
Aggressive Absichten im Hirn ablesbar?
Durch welche Vorgänge bei der Paarung mit einem Weibchen die cMPOA-Region anspringt, wissen die Forscher allerdings noch nicht. Der Bereich des Vorderhirns, in dem die beiden kontrollierenden Regionen liegen, ist jedoch bei allen Säugetieren äußerst ähnlich. Die Forscher nehmen daher an, dass bei Primaten und also auch beim Menschen ähnliche Prozesse das Verhalten bestimmen. Allerdings erwarten sie im menschlichen Gehirn aufgrund der höheren kognitiven Fähigkeiten eine wesentlich komplexere Situation.
In Versuchen an Marmosetten wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob auch bei Primaten solche spezifischen Hirnregionen über das Verhalten entscheiden. Wenn es solche Regionen tatsächlich gibt, führt dies zu Überlegungen wie aus einem Science Fiction Scenario: Bildgebende Techniken wie die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie könnten in Zukunft aggressive Absichten schon frühzeitig sichtbar machen. Neben dem neurologischen Wissen erfordere dies jedoch sorgfältige ethische Abwägungen, so die Forscher. (The EMBO Journal, 2015; doi: 10.15252/embj.201591942)
(EMBO / RIKEN, 01.10.2015 – AKR)
1. Oktober 2015