Medizin

Autobahnen steigern Krebsrisiko bei Kindern

Größeres Leukämierisiko durch Verkehrsabgase an Wohnorten neben stark befahrenen Straßen

An Wohnorten direkt neben einer Autobahn ist die Schadstoffbelastung viel höher - für Kinder steigt dadurch auch das Leukämierisiko deutlich an. © iStock.com / zhudifeng

Krank durch Abgase: An einem Wohnort in der Nähe von Autobahnen oder großen Straßen haben Kinder ein bis zu doppelt so hohes Risiko, an Leukämie zu erkranken. Ursache sind vermutlich krebserregende Stoffe in den Verkehrsabgasen, meinen Mediziner aus der Schweiz. Besonders stark bedroht sind die jüngsten unter den Kindern, warnen die Forscher, und schon wenige hundert Meter Distanz zur Straße können entscheidend sein.

Kinder erkranken vergleichsweise selten an Krebs, verglichen mit Erwachsenen. Dennoch gibt es in Deutschland jährlich über 1.500 Krebsfälle bei Kindern unter 15 Jahren. Die häufigste bei Kindern auftretende Krebsart ist Leukämie. Die Ursachen in diesem jungen Alter sind weitgehend unbekannt: Anders als bei Erwachsenen können sich Langzeit-Risikofaktoren wie etwa Rauchen noch nicht auswirken. Neben einer gewissen genetischen Veranlagung stehen bei den jungen Krebspatienten vor allem verschiedene Umweltfaktoren als Auslöser im Verdacht.

Leukämie durch Abgase je nach Wohnort

Einer dieser möglichen Faktoren ist die Luftverschmutzung durch Autoabgase: Sie enthalten Benzol und weitere als krebserregend bekannte Stoffe. Mediziner um Ben Spycher von der Universität Bern wollten darum überprüfen, ob Verkehrsabgase das Leukämierisiko bei Kindern erhöhen. Dazu verglichen die Wissenschaftler die Daten von über zwei Millionen Kindern aus den Volkszählungen der Schweiz von 1990 und 2000 mit Zahlen aus dem Schweizer Kinderkrebsregister von 1985 bis 2008. Dieses Register erfasst alle Krebsfälle bei Kindern unter 16 Jahren.

Die Wohnorte der Kinder waren in fast allen Fällen bekannt, so dass die Forscher auch die Nähe zu stark befahrenen Straßen mit einbeziehen konnten. Sie teilten die Wohnorte in verschiedene Distanzgruppen ein: weniger als 100 Meter, 100 bis 250 Meter, 250 bis 500 Meter und über 500 Meter von der nächsten Autobahn oder großen Straße entfernt. Dann verglichen die Forschenden die Leukämiehäufigkeit in den verschiedenen Distanzkategorien.

Viel höheres Risiko in weniger als 100 Metern zur Straße

Die Zahlen zeigten ein deutlich erhöhtes Risiko einer Leukämie bei Kindern, die weniger als 100 Meter von der nächsten Straße entfernt wohnen: Verglichen mit Kindern, die mehr als einen halben Kilometer weit von der nächsten Autobahn wohnten, stieg das Risiko um 47 Prozent an. Im Beobachtungszeitraum seien zwar „nur“ 30 Kinder tatsächlich an Leukämie erkrankt, sagt Studienleiterin Claudia Kuehni vom Schweizer Kinderkrebsregister. Die Unterschiede seien jedoch trotz der geringen Fallzahlen statistisch signifikant.

Dies überprüften die Forscher, indem sie auf Basis der beiden in der Volkszählung erfassten Jahre eine Hochrechnung für den gesamten im Kinderkrebsregister erfassten Zeitraum aufstellten: Sie schätzten ab, wie viele „Personenjahre“ alle in der Schweiz wohnhaften Kinder in den verschiedenen Distanzgruppen zwischen 1985 und 2008 durchlebten. Für jedes gelebte Kalenderjahr trägt ein Kind ein Personenjahr bei.

Besondere Gefahr für Kleinkinder

Nach dieser Abschätzung ergab sich sogar ein um 57 Prozent höheres Leukämierisiko bei Kindern, die dicht an einer stark befahrenen Straße leben. Diese zweite Methode ist wegen teilweise fehlender Daten vor und nach den Volkszählungen weniger präzise, erfasst aber mehr als doppelt so viele Krebsfälle.

Besonders stark betroffen sind den Daten zufolge die jüngsten Kinder: Nach Altersgruppen aufgeschlüsselt zeigte sich das größte Krebsrisiko bei Neugeborenen und Kindern bis vier Jahren. „In dieser Altersgruppe war das Leukämierisiko bei einem Wohnort innerhalb 100 Meter neben einer Autobahn etwa doppelt so hoch wie bei einem Abstand der Wohnung von 500 Metern oder mehr“, sagt Erstautor Spycher.

Leukämie-Auslöser Benzol

Bei den anderen Distanzkategorien sowie für andere Krebsarten, etwa Hirntumore und Lymphome, fanden die Forscher keine klaren Hinweise auf ein erhöhtes Risiko. Die Tatsache, dass nur das Leukämierisiko steigt, könnte laut den Autoren auf Benzol als mögliche Ursache hinweisen. Dass eine hohe Benzolbelastung am Arbeitsplatz bei Erwachsenen Leukämien auslösen kann, ist bereits bekannt.

Zwar sei die Schadstoffbelastung durch den Verkehr in den letzten Jahren aufgrund strengerer Vorschriften deutlich zurückgegangen, meinen die Autoren. In unmittelbarer Nähe von viel befahrenen Straßen wie Autobahnen sind die Schadstoffkonzentrationen in der Luft jedoch immer noch stark erhöht, sie fallen aber innerhalb von wenigen hundert Metern rasch ab.

Strahlung und Hochspannungsleitungen scheiden aus

Diese wenigen hundert Meter machen jedoch für das Krebsrisiko einen entscheidenden Unterschied aus. „Mehrere Studien aus anderen Ländern fanden ebenfalls Hinweise für ein erhöhtes Leukämierisiko bei Kindern, die nahe an stark befahrenen Straßen aufwuchsen“, ergänzt Kuehni.

Die Mediziner untersuchten auch, ob sich ihre Resultate eventuell durch andere Faktoren erklären lassen. Sie überprüften darum sozio-ökonomische Unterschiede, ionisierende Hintergrundstrahlung oder die Distanz zu Hochspannungsleitungen als mögliche Ursachen.

Diese Faktoren beeinflussten die Ergebnisse jedoch nicht, fasst Kuehni zusammen: „Insgesamt deuten die Resultate tatsächlich darauf hin, dass Luftverschmutzung durch den Verkehr das Risiko für Kinderleukämien erhöhen kann, insbesondere im Kleinkindalter.“ (European Journal of Epidemiology, 2015; doi: 10.1007/s10654-015-0091-9)

(Universität Bern, 04.11.2015 – AKR)

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