Holzgerüste in baumloser Wüste: Forscher haben eines der Rätsel um die berühmten Großhäuser der Anasazi in New Mexico gelöst. Denn obwohl es dort meilenweit keine Bäume gibt, besitzen die bis zu fünf Stockwerke hohen Pueblobauten ein Gerüst aus Holzstämmen. Jetzt zeigt sich: Das bis heute geheimnisvolle Volk schaffte die Stämme aus mehr als 75 Kilometern Entfernung herbei – und das vor mehr als tausend Jahren.
Die präkolumbianische Kultur der Anasazi gibt bis heute Rätsel auf. Vor rund 2100 Jahren tauchte dieses Volk plötzlich wie aus dem Nichts auf und begann, im heutigen Südwesten der USA erstaunlich komplexe Siedlungen zu errichten. Auf dem Höhepunkt ihrer Kultur, etwa zwischen 850 und 1140, bauten sie ganze Städte in und an den steilen Kliffs der Canyons und Mesas. Ihre Großhäuser und Felswohnungen sind heute Teil des UNESCO Weltkulturerbes.
240.000 Holzbalken mitten in der Wüste
Besonders eindrucksvoll sind die bis zu fünfstöckigen Großhäuser im Chaco Canyon in New Mexico. „Die monumentalen ‚Großhäuser‘ im Chaco Canyon reflektieren ein komplexes sozioökonomisches System, das einen Großteil des 12.000 Quadratkilometer großen San Juan Beckens überzog“, erklären Christopher Guiterman und seine Kollegen von der University of Arizona.
Das Rätselhafte aber: Um Dächer und Zwischendecken abzustützen und als Gerüst für Türen und Fenster, verbauten die Anasazi im Chaco Canyon mehr als 240.000 Baumstämme – und das in einer Gegend, die schon damals weitgehend baumlos war. „Fichten und Tannen, aus denen zehntausende der Holzbalken bestehen, gibt es im Chaco Canyon schon seit mindestens 12.000 Jahren nicht mehr“, so die Forscher. Woher also stammten diese Bäume?
Ferntransport über mehr als 75 Kilometer
Um das zu klären, haben die Wissenschaftler die Jahresringe von 170 Anasazi-Balken analysiert und mit Proben von Bäumen aus acht umgebenden Waldgebieten verglichen. Das Ergebnis: 70 Prozent der Bäume stammten nicht aus der unmittelbaren Umgebung, sondern kamen aus den mehr als 75 Kilometern entfernten Chuska- und Zuni-Bergen.
„Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die Anasazi schon ab 850 Bäume aus den Zuni-Bergen schlugen und in den Canyon transportierten“, berichten die Forscher. Erst ab etwa 1020 kamen dann auch Holzbalken aus den Chuska-Bergen hinzu. Gleichzeitig begann eine neue Phase verstärkter Bautätigkeit: Innerhalb weniger Jahre errichteten die Anasazi sieben neue Großhäuser im Chaco Canyon. „Rund die Hälfte der Häuser in ‚Downtown Chaco‘ wurden zu dieser Zeit gebaut“, sagt Guiterman.
Wegenetz für den Holztransport?
Der Import von Holz über so weite Entfernungen könnte ein weiteres Rätsel der Anasazi vom Chaco-Canyon lösen helfen: Sie bauten damals ein mehr als 600 Kilometer langes Wegenetz mit teilweise neun Meter breiten Straßen. Wozu diese dienten, blieb bisher unklar, da man annahm, dass sie keinen nennenswerten Fernhandel trieben. Die Holzbalken aus den gut 75 Kilometer entfernten Bergen wiederlegt zumindest letzteres.
Der ab 1020 reichliche Zustrom von Holz aus den Chuska-Bergen führte auch zu einem engeren kulturellen Kontakt, wie Funde von typischen Chuska-Tongefäßen und anderen Gegenständen belegen. „Es gibt Keramik und Steinwerkzeuge wie Pfeilspitzen und Schnitzwerkzeug“, berichtet Guiterman. Möglicherweise übernahmen Menschen aus den Chuska-Bergen den Transport der Stämme und dienten dann den Anasazi als Arbeitskräfte beim Hausbau.
„Wir lernen mehr und mehr darüber, was diese Menschen vor so langer Zeit taten und wie sie mit ihrer Umwelt interagierten“, sagt Guiterman. Weshalb jedoch die Anasazi etwa um 1300 genauso plötzlich wieder verschwanden wie sie gekommen waren, bleibt vorerst unklar. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1514272112)
(University of Arizona, 08.12.2015 – NPO)