Schnelle Schnappschüsse: Dank Mathematik können Forscher künftig besser ergründen, was bei ultraschnellen chemischen Reaktionen geschieht. Denn ein neuer Algorithmus hilft dabei, die Schnappschüsse der Röntgenlaser zeitlich zu sortieren. Das klärt die Reihenfolge bestimmter Abläufe und erhöht die zeitliche Auflösung um immerhin das 300-Fache, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Chemische Reaktionen laufen unvorstellbar schnell ab, sie ereignen sich innerhalb von Femtosekunden. Bisher gelingt es deshalb selbst Röntgenlasern nur ansatzweise, die Teilchenbewegungen bei diesen Prozessen abzubilden, beispielsweise bei der Bildung von Kohlendioxid. Denn sie erzeugen nur Momentaufnahmen, die nachträglich zu einem Ablauf zusammengefügt werden müssen.
Chaotische Schnappschüsse
Dabei gibt es jedoch ein Problem: Für jedes Bild muss die fragliche Reaktion neu von einem optischen Laser angestoßen werden, der Röntgenlaser blitzt dann jedes Mal ein wenig später und erstellt so seine Schnappschüsse. Der jeweilige Aufnahmezeitpunkt lässt sich dadurch nicht ganz exakt bestimmen, so dass die zeitliche Abfolge der Röntgenlaser-Bilder nicht immer klar erkennbar ist.
„Die zeitliche Unschärfe ist in vielen Bereichen der Wissenschaft ein Fluch“, sagt Abbas Ourmazd von der University of Wisconsin. „Man hat zwar eine Menge Daten, aber ohne genauen Zeitstempel. Alle uns bisher bekannten experimentellen Lösungen haben es nicht geschafft, eine Zeitauflösung von besser als etwa 14 Femtosekunden zu liefern.“ Die meisten Anwendungen liegen sogar nur bei rund 60 Femtosekunden.
Punkte in zwölf Millionen Dimensionen
Doch Ourmazd und seine Kollegen haben nun für dieses Problem eine Lösung gefunden – auf mathematischem Wege. Sie entwickelten einen Algorithmus, mit dessen Hilfe sie die Abfolge vorhandener Daten ermitteln und so die zeitliche Auflösung beträchtlich erhöhen können. Die einzelnen Schnappschüsse werden dazu mathematisch als einzelne Punkte in einem hochdimensionalen Raum dargestellt – mit bis zu rund zwölf Millionen Dimensionen.
Mit Hilfe mathematischer Mustererkennungsprozesse reduzieren die Forscher dann die Zahl der Dimensionen, indem sie gekrümmte mehrdimensionale Flächen suchen, auf denen die Punkte liegen. Ziel ist es dabei, eine eindimensionale Kurve zu finden, auf der alle Punkte liegen. Denn auf ihr sind die Punkte dann zeitlich geordnet. „Die Methode hat ein unglaubliches Potenzial“, erläutert Robin Santra vom Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg.
Stickstoff-Ionen als Testobjekt
Getestet haben die Forscher ihren Algorithmus an Daten, die US-Forscher mit dem Freie-Elektronen-Röntgenlaser LCLS des National Accelerator Laboratory in Kalifornien erhoben hatten. Sie hatten damit die Bildung doppelt elektrisch geladener Stickstoffmoleküle unter Röntgenstrahlung untersucht. Doch ihre Schnappschüsse zeigten unterschiedlicher Schwingungszustände intakter und auseinandergebrochener Stickstoffmoleküle, ohne dass deren zeitliche Reihenfolge erkennbar war.
Ourmazd und seinen Kollegen gelang es nun mit Hilfe ihres Algorithmus, die Schwingungsbewegungen der Moleküle mit einer Genauigkeit von einer Femtosekunde zu bestimmen. Damit konnten sie das dynamische Verhalten der Stickstoffmoleküle mit einer um den Faktor 300 verbesserten Präzision rekonstruieren.
Vielseitig einsetzbar
„Diese Methode hat das Zeug, die Forschung an Freie-Elektronen-Lasern zu revolutionieren“, sagt Santra. Und sie hat einen großen Vorteil: Sie benötigt keine aufwendigen technischen Lösungen, sondern setzt stattdessen geschickt mathematische Operationen ein. „Dieser Weg ist nicht nur einfacher, sondern auch noch erfolgreicher, weil die Ergebnisse viel exakter sind“, so der Physiker.
Einsetzen lässt sich die Methode künftig überall dort, wo extrem schnelle Prozesse ablaufen, beispielsweise bei Reaktionen in der Biologie und Chemie, aber auch bei elektrochemischen Anwendungen, industriellen Prozessen oder bei der Erforschung ungewöhnlicher Materiezustände, wie sie im Inneren von Planeten oder Sternen auftreten. Und noch einen Vorteil gibt es: Liegen genügend Daten vor, können auch bereits erfolgte Experimente mit diesem Verfahren nachträglich ausgewertet werden. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17627)
(Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, 02.05.2016 – NPO)