Überraschende Übernahme: Im Erbgut von Stabschrecken haben Forscher die Bauanleitung für ein Enzym entdeckt, das normalerweise nur Bakterien besitzen. Sie vermuten daher, dass das Insekt diese Gene einst von seinen Darmbakterien übernommen und ins eigene Genom eingebaut haben muss. Ein solcher horizontaler Gentransfer galt bisher im Tierreich als extrem selten – könnte aber in der Evolution eine größere Rolle gespielt haben als bisher angenommen.
Viele Pflanzenfresser – von der Kuh bis zur Termite – sind für die Verdauung harten Pflanzenmaterials auf die Mithilfe von Bakterien angewiesen. Denn die Mikroben verfügen über Enzyme, die das schwer abbaubare Pflanzenmaterial zersetzen können, beispielsweise Pektinasen, die die stabilen Zucker in den Zellwänden der Pflanzen zerlegen. „Um derartige Symbionten beherbergen zu können, haben Pflanzenfresser in der Regel Blindsäcke und ähnliche Erweiterungen im Magen-Darm-Trakt entwickelt“, erklärt Sven Bradler von der Universität Göttingen.
Bakterien-Enzym im Schrecken-Genom
Anders bei den Stabschrecken, Insekten, die für ihre raffinierte Tarnung als Zweige oder Blätter bekannt sind. Ihr oft extrem gestreckter und dünner Körper lässt wenig Platz für Darmsymbionten. Dennoch scheinen diese Insekten ihre Blattnahrung auch ohne diese mikrobiellen Helfer problemlos verdauen zu können. Wie ihnen dies gelingt, haben Bradler und seine Kollegen nun mit Hilfe von Genanalysen bei 38 Stabschrecken-Arten untersucht.
Die überraschende Entdeckung: Die Stabschrecken tragen in ihrem Erbgut selbst die Bauanleitungen für Pektinasen – und damit für Enzyme, die eigentlich nur bei Bakterien vorkommen. „Die Präsenz solcher endogener Pektinasen ist eine Neuentdeckung für die Stabschrecken“, erklären die Forscher. Statt die Mikroben zu beherbergen, haben die Stabschrecken offenbar einfach nur die für sie nützlichen Gene von diesen übernommen.