Doch die Aktion verlief völlig anders als geplant. Wie von Humboldt berichtet, attackierten die bizarren Fische die Pferde regelrecht. Sie sollen sie angesprungen und zwei der Pferde so paralysiert haben, dass sie binnen fünf Minuten ertranken. „Als ich diese Erzählung zum ersten Mal las, hielt ich sie für unrealistisch“, sagt Catania. „Warum sollten die Aale die Pferde angreifen anstatt einfach fortzuschwimmen?“
Sprung-Angriffe aus dem Aquarium
Dann jedoch beobachtete der Wissenschaftler erstmals ähnlich spektakuläre Verhaltensweisen bei den Zitteraalen in seinem Aquarium: Näherte sich Catania den Fischen mit einem Netz, schalteten die Tiere zuweilen auf Angriff um. Sie schnellten dann aus dem Wasser, drückten ihr Kinn an den potenziellen Feind – in diesem Fall den Griff des Netzes – und wehrten sich mit Hochspannungssalven.
Um diesen Sprung-Angriffen genauer auf den Grund zu gehen, führte Catania Experimente mit speziell präparierten Feind-Attrappen durch. Er reizte die Tiere mit einem Plastik-Arm und einem Alligatorkopf – beide waren mit Leucht-LEDs sowie einem leitenden Metallstreifen ausgerüstet. „Die Aale reagieren nur auf Objekte, die Elektrizität leiten“, erklärt der Forscher. Das mache Sinn, da alle Lebewesen diese Eigenschaft erfüllen.
Je höher, desto effektiver

Springt der Aal einen höher liegenden Bereich seines Opfers an, schließt sich der Stromkreis über eine größere Körperfläche © Kenneth Catania/ Vanderbilt University
Catanias Ergebnisse zeigen, wie wirkungsvoll der Sprung aus dem Wasser ist: Je höher die Stelle ist, an der die Zitteraale beim Angriff mit ihrem Kopf den Feind berühren, desto heftiger fällt der verpasste Stromstoß aus. Laut dem Wissenschaftler liegt das an dem raffinierten Elektro-System der langgestreckten Tiere. Wie in einer Batterie sind in ihm stromerzeugende Muskelzellen in Reihe geschaltet – die Entladung dieser Zellen erfolgt über eine Berührung des Opfers mit der Kopf- oder der Schwanzspitze, die als Plus- und Minuspol fungieren.
Bei der Jagd unter Wasser funktioniert dieses System äußerst effektiv. Befindet sich jedoch ein Teil des Körpers des Feindes außerhalb des Wassers, ist der Effekt vergleichsweise gering. Strom fließt dann nur durch den untergetauchten Bereich. Springt der Aal hingegen einen höher liegenden Bereich seines Opfers an, schließt sich der Stromkreis über eine größere Körperfläche. „Dadurch kann der Aal den Eindringling mit maximaler Schlagkraft erwischen“, sagt Catania.
Die unangenehmen Folgen eines solchen Sprung-Angriffs veranschaulichten im Versuch die hell aufleuchtenden LED-Dioden an den Attrappen. „Man muss sich das Aufleuchten als Symbol für die Stimulation von Schmerz-Nerven vorstellen. Dann bekommt man einen Eindruck davon, wie effektiv diese Angriffe sein können“, so der Forscher.
Überlebensstrategie in der Trockenzeit
Doch warum attackieren die Aale überhaupt Tiere, die eigentlich nicht in ihr Beuteschema passen? Auch darauf fand Catania Hinweise. Er stellte fest: Die Fische zeigten das Sprungverhalten vor allem dann, wenn das Wasser im Aquarium besonders niedrig stand. Wahrscheinlich fühlen sie sich in dieser Situation besonders leicht in die Enge getrieben, vermutet der Wissenschaftler.
In der Natur bringen niedrige Wasserstände Zitteraale vor allem während der Trockenzeit in Bedrängnis. Gefangen in kleinen Tümpeln oder flachen Wasserarmen ist Flucht keine Option – und die Aale müssen sich gegen Landräuber entsprechend rabiat verteidigen, erklärt Catania. „Es ist deshalb durchaus plausibel, dass von Humboldt am 19. März 1800 ein solches Verhalten beobachtet hat“, schließt er. (PNAS, 2016; doi: 10.1073/pnas.1604009113)
(Vanderbilt University, PNAS, 07.06.2016 – DAL)
7. Juni 2016