Von wegen zerstörerische Barbaren: Die Vandalen der römischen Antike waren weitaus besser als ihr heutiger Ruf. Denn auch wenn sie gegen die Römer kämpften, waren sie und ihre Kultur durchaus zivilisiert, wie ein Historiker berichtet. Die Vandalen waren zudem gar kein einheitliches Volk, sondern bestanden aus mehreren, von den Römern unter der Bezeichnung Vandalen zusammengefassten Völkergruppen.
Sie gelten oft als das Symbol für Zerstörungswut und Barbarentum: die Vandalen. Bekannt ist diese Völkergruppe germanischen Ursprungs dafür, dass sie im Jahr 406 nach Christus nach Westen in römisches Gebiet eindrangen und dabei fränkische und römische Truppen schlugen. Die Vandalen gelangten über Limes und Rhein bis weit nach Frankreich hinein und zogen in den Folgejahren bis nach Spanien und Nordafrika weiter.
Die große Plünderung
455 nach Christus fielen die Vandalen und Alanen sogar in Rom ein und plünderten die Stadt. Der Grund: Der römische Kaiser Valentinian II. hatte dem Vandalen-Prinzen Hunerich seine Tochter versprochen, machte aber einen Rückzieher. Die für die Römer schmerzvolle und verlustreiche Plünderung Roms brachte den Vandalen den Ruf ein, barbarische Zerstörer zu sein.
Doch dem widerspricht nun Roland Steinacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Basierend auf wissenschaftlichen Fakten waren die Vandalen kultivierte Eroberer und nicht zerstörungswütiger als viele andere Völkergruppen auch“, erklärt der Historiker. „Es mag verblüffend klingen für Laien, aber die Vandalen waren keine Vandalen“. Selbst bei der Plünderung Roms gibt es keine Hinweise auf blinde Zerstörungswut, stattdessen raubten sie systematisch Wertgegenstände – wie damals zu Kriegszeiten üblich.
Ganz normale „Barbaren“
Wie der Historiker erklärt, waren die Vandalen auch keineswegs besonders barbarisch. Stattdessen gehörten sie während der Spätantike zu den zahlreichen Völkern im Umfeld des römischen Reiches, die mal mit mal gegen die Römer kämpften. Nicht wenige Vandalen verdingten sich als Soldaten für die Römer und lebten als „Ausländer“ und damit im römischen Sprachgebrauch als „Barbaren“ unter ihnen.
„Die Vandalen waren römische Barbaren – Soldaten, die sich im spätantiken Mittelmeerraum einen privilegierten Platz in der Gesellschaft zu sichern wussten“, stellt Steinacher klar. „Dies hatte auch finanzielle Gründe, denn ein römischer Rekrut kostete im 5. Jahrhundert sechs Mal so viel wie ein barbarischer Föderat“, betont der Forscher. Die Vandalen waren damit in dieser Hinsicht nicht anders als andere germanische Völker zu jeder Zeit. Kunstvolle Grabeigaben, Schilde und Waffen zeugen zudem von ihrer durchaus fortgeschrittenen Kultur.
Flucht statt Eroberungsdrang
Die Westwärts-Wanderung der Vandalen im 5. Jahrhundert hatte weniger mit Eroberungsdrang zu tun als mit Flucht: Die von Osten heranrückenden Hunne vertrieben die später als Vandalen zusammengefassten Volksgruppen aus ihren angestammten Siedlungsgebieten im heutigen Polen. Wie Steinacher erklärt, hätte die römische Führung zu jener Zeit wahrscheinlich auch ohne eine Invasion der Vandalen die Kontrolle in den Provinzen verloren.
Die jeweils als Vandalen bezeichneten, barbarischen Völkergruppen waren auch keine unzivilisierten Kulturzerstörer, wie der Forscher betont. Um das Jahr 440 gründeten sie in Nordafrika ein eigenes, wohlhabendes Königreich, das gut hundert Jahre lang bestand. Dort pflegten die Vandalen einen weitgehend römischen Lebensstil und integrierten sich in die ökonomischen Strukturen der spätantiken Mittelmeerwelt.
Zu ihrem besonders schlechten Ruf kamen die Vandalen übrigens erst im 18. Jahrhundert – mehr als tausend Jahre nach dem Niedergang ihres Königreichs in Afrika. Während in Deutschland die Vandalen als edle und kriegstüchtige Vorfahren galten, wurde im Frankreich der Revolutionszeit der Begriff des Vandalismus für besonders zerstörerische Taten geprägt. Er beruhte auf Geschichten der Spätantike und des frühen Mittelalters, die ein verzerrtes Bild der Vandalenvorstöße über Limes und Rhein widerspiegelten.
(Österreichische Akademie der Wissenschaften, 23.06.2016 – NPO)