Geowissen

Erdbeben: Keimzelle im Kalk

Kalkhaltige Sedimente entpuppen sich als Schwachstellen in seismogenen Zonen

Subduktionszone: Dort, wo eine Kontinentalplatte unter eine andere abtaucht, entstehen viele schwere Erdbeben. © C. Kersten/ Geomar

Wo der erste Riss entsteht: Forscher haben einen Untergrund identifiziert, in dem besonders leicht Erdbeben entstehen können. Demnach sind vor allem kalkhaltige Sedimente in Subduktionszonen anfällig für Brüche. Gesteinsschichten aus solchem Material reagieren in der Tiefe empfindlicher auf durch Plattenbewegungen erzeugte Veränderungen als tonhaltige Schichten, berichtet das Team im Fachmagazin „Nature Geoscience“. Damit entpuppen sie sich als wahrscheinliche Kandidaten für den ersten Riss – und damit als Keimzelle – eines Erdbebens.

Die Auswirkungen von Erdbeben sind oft schwerwiegend und unübersehbar. Sie können Häuser zerstören, Hänge abrutschen lassen und Tsunamis auslösen. Als Verursacher solcher Naturkatastrophen gelten Spannungen, die im Erdinneren auftreten, wenn sich zwei Erdplatten aneinander vorbei bewegen und dabei verhaken. Besonders erdbebengefährdet sind daher sogenannte Subduktionszonen – jene Bereiche, in denen eine Kontinentalplatte unter eine andere abtaucht.

Was aber löst solche Erdbeben aus und welche Zusammensetzung des Untergrunds begünstigt sie? Schließlich beginnt auch das schwerste Beben mit einem ersten Riss im Gestein, aus dem ein großer Bruch entstehen kann. Wissenschaftler um Robert Kurzawski vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel haben sich dieser Frage nun gewidmet – und eine mögliche Keimzelle von Erdbeben identifiziert.

Sedimengestein im Stresstest

Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher Bohrproben, die sie 2011 und 2012 vor der Küste von Costa Rica gewonnen hatten. Dort taucht die pazifische Cocos-Erdplatte unter die karibische Erdplatte ab. Dabei nimmt die Cocos-Platte aufliegende Sedimentschichten mit in die Tiefe, die so zwischen den Platten eingeklemmt werden. „Vor Costa Rica beginnt die Zone, in der Erdbeben an der Plattengrenze entstehen, bereits in einer besonders geringen Tiefe von circa fünf bis sechs Kilometern, und zwar genau in diesen subduzierten Sedimenten“, erklärt Kurzawski.

Mithilfe der Proben aus diesen Sedimentschichten testete das Team im Labor die Widerstandsfähigkeit des Gesteins: Es wurde Bedingungen ausgesetzt, wie sie in der Tiefe herrschen, in der flache Erdbeben entstehen – dazu gehören ein erhöhter Druck, Temperaturen um 100 Grad Celsius sowie Scherbewegungen.

Natürliche Sollbruchstelle

Die Ergebnisse zeigten, dass die Sedimentgesteine je nach Material unterschiedlich anfällig für Initialrisse sind: Während tonige Sedimente unempfindlich auf Veränderungen in Spannung, Temperatur und vor allem Porendruck reagierten, veränderten kalkhaltige Sedimente ihre Reibungseigenschaften bei einem Temperatur- und Porendruckanstieg erheblich. „Bei genau den Bedingungen, wie sie im Falle flacher Erdbeben zu erwarten sind, waren Kalke plötzlich instabil und zudem weniger fest als tonhaltiges Material“, sagt Kurzawski.

Durch diese Eigenschaft bilden die kalkhaltigen Sedimente eine natürliche Sollbruchstelle im Gesteinsverband – und können die Keimzelle von Erdbeben bilden, wie die Forscher berichten. Dieses Ergebnis ist für das Team sehr überraschend. Denn bislang galten tonhaltige Sedimente als mechanisch weniger belastbar als Kalk. Nun zeigt sich jedoch: Kalkhaltige Sedimente stellen unter bestimmten Voraussetzungen die wahrscheinlicheren Kandidaten für den ersten Bruch eines Bebens dar.

„Nicht von der Oberfläche auf die Tiefe schließen“

Nicht nur vor Costa Rica, auch in den meisten anderen Subduktionszonen im tropischen und subtropischen Bereich finden sich neben tonhaltigen Sedimenten typischerweise kalkhaltige Sedimentbestandteile – vom Pazifik über die Karibik bis hin zum Mittelmeer. Deshalb, so die Forscher, seien die Ergebnisse so interessant.

„Natürlich kennen wir damit noch lange nicht alle Prozesse, die in diesen Zonen ein Erdbeben auslösen können. Wir haben aber mit dieser Studie gezeigt, dass man Materialeigenschaften von der Erdoberfläche nicht einfach auf die Tiefe übertragen darf“, schließen sie. Deshalb seien auch dringend weitere Bohrungen notwendig, um mehr über die Erdbebenprozesse im Untergrund zu erfahren. (Nature Geoscience, 2016; doi: 10.1038/ngeo2774)

(Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 02.08.2016 – DAL)

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