Chemikaliendusche oder doch bloß Wasserdampf? Forscher haben die vermeintlichen Belege für die sogenannten „Chemtrails“ einer kritischen Überprüfung unterzogen. Nach Ansicht von knapp 80 Atmosphärenforschern ist es demnach äußerst unwahrscheinlich, dass eine absichtliche Freisetzung von Chemikalien hinter besonders dicken Kondensstreifen oder erhöhte Schwermetallwerten in Luft oder Wasserproben steckt.
Die „Chemtrails“ gehören zu den Klassikern der Verschwörungstheorien. Nach Meinung seiner Anhänger nutzen Regierungen, multinationale Konzerne oder sonstige Mächte schon seit Jahrzehnten Flugzeuge, um heimlich gefährliche Chemikalien in die Luft zu sprühen. Diese Chemikalien sollen dazu dienen, das Klima zu manipulieren, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren oder auch um Böden zu verseuchen.
Einer internationalen Umfrage zufolge glauben immerhin rund 17 Prozent der Menschen, dass an dieser Theorie etwas dran sein könnte. Als Indizien für die Chemtrails werden besonders dicke, ungewöhnlich geformte Kondensstreifen von Flugzeugen angeführt. Auch die Zunahme der Kondensstreifen am Himmel gilt als klares Zeichen für eine absichtliche Freisetzung von Chemikalien in der Atmosphäre.
Den Spieß umgekehrt
Zwar haben in den letzten Jahren bereits viele Wissenschaftler, Forschungseinrichtungen und Behörden diese Verschwörungstheorie mit Messungen und Daten widerlegt, darunter das Umweltbundesamt, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und sogar die Umweltorganisation Greenpeace. Doch für hartgesottene Chemtrail-Anhänger sind sie damit nur Teil der großen Verschwörung.
Jetzt unternimmt eine Forschergruppe erneut den Versuch, die Chemtrail-Theorie zu widerlegen. Dabei kehren sie jedoch den Spieß um: Sie haben Forscher gebeten, die vermeintlichen Beweise der Chemtrail-Anhänger zu überprüfen. „Wir glauben nicht, dass wir damit die Hardcore-Anhänger dieser Verschwörungstheorie überzeugen können“, erklärt Steven Davis von der University of California in Irvine. „Aber wir halten es für wichtig, dieser Theorie mit wissenschaftlichen Fakten entgegenzutreten.“
Was sagen die Experten?
Für ihre Studie haben die Forscher 77 international vielzitierten und publizierten Atmosphärenforschern vier Fotos geschickt, die auf vielen Chemtrail-Websites als klassische Beispiele für die Chemikalienfreisetzung und „verdächtige“ Kondensstreifen gezeigt werden. Dazu wurden die Experten gefragt, wie sie die jeweiligen Kondensstreifen erklären würden und auf welchen Studien ihre Erklärung basiert.
Zusätzlich wurde den Wissenschaftlern drei Laboranalysen von Tümpelwasser, Schnee und Luftfiltern vorgelegt, deren Ergebnisse auf einer Chemtrails-Seite publiziert wurden. Sie sollten beurteilen, ob die darin festgestellten Gehalte an Schwermetallen aus versprühten Chemikalien stammen könnten – oder ob es möglicherweise naheliegender Erklärungen gibt. Abschließend sollten die Forscher die von Chemtrails-Anhängern empfohlenen Methoden der Probennahme beurteilen.
Andere Erklärungen wahrscheinlicher
Das Ergebnis: Keiner der Experten sah in einem der vier Fotos einen Hinweis auf ungewöhnliche oder durch Chemikalien verursachte Kondensstreifen, „Im Gegenteil: Meist waren sich die Experten bei den jeweiligen Fotos sogar darüber einig, welcher physikalische Mechanismus für diese Streifen verantwortlich sein muss – und Chemtrails gehörten nicht dazu“, berichten Davis und seine Kollegen.
Bei den Analysenergebnissen gab die Mehrheit der Forscher an, dass die Werte bei den Wasserproben durchaus der normalen Verschmutzung von schlammigem, mit Sediment gemischtem Wasser entsprechen. Bei den Schwermetallwerten der Luft- und Schneeprobe sahen die meisten Forscher Industrieschadstoffe oder natürliche Quellen als wahrscheinlichsten Grund. Nur ein Wissenschaftler nannte eine Freisetzung von Chemikalien in der Luft als eine mögliche Ursache.
Länger sichtbar durch Klimawandel und neue Antriebe
Immerhin in einem Punkt aber geben die Forscher den Chemtrail-Anhängern recht: Auch sie halten es für wahrscheinlich, dass die Kondensstreifen von Flugzeugen heute mehr geworden sind und auch länger anhalten als früher. Den Grund sehen sie allerdings nicht in Chemie-Beimischungen. Stattdessen sind stärkere Düsenantriebe und der Klimawandel ihrer Ansicht nach die wahrscheinlichste Erklärung dafür.
„Insgesamt jedoch haben die Experten, die wir befragt haben, weder in den Kondensstreifen-Fotos noch in den Testergebnissen irgendwelche Belege für die Chemtrail-Theorie gesehen“, sagt Davis. Damit müssen die Chemtrail-Anhänger nun damit leben, dass die gleichen Zweifel, die sie gegen bisherige wissenschaftliche Messergebnisse erheben, auch gegenüber ihren „Beweisen“ mehr als angebracht scheinen – zumindest nach Ansicht einer Mehrheit der Wissenschaftler vom Fach.
„Ich denke, es ist einfach mal wichtig zu zeigen, was echte Experten in Bezug auf Kondensstreifen und Aerosole zu diesem Thema denken“, sagt Koautor Ken Caldeira von der Carnegie Institution in Washington. (Environmental Research Letters, 2016; doi: 10.1088/1748-9326/11/8/084011)
(Carnegie Institution for Science/ Universitys of California – Irvine, 16.08.2016 – NPO)