Psychologie

Psychopathen: Bedauern ohne Konsequenzen

Auch Psychopathen können Entscheidungen bereuen – lernen aber nicht daraus

Auch Psychopathen fühlen Bedauern - sie lassen sich von dieser Emotion jedoch nicht beeinflussen. © Erniel Henning/ freeimages

Menschen mit psychopathischem Charakter können offenbar doch Bedauern empfinden. Wie ein Experiment zeigt, bereuen sie bestimmte Entscheidungen rückblickend durchaus. Allerdings verpufft diese negative Emotion offenbar sehr schnell wieder – und beeinflusst anders als bei gesunden Menschen zukünftige Entscheidungen kaum. Kurzum: Psychopathen scheinen aus emotionalen Erfahrungen nicht zu lernen.

Psychopathen gelten als selbstsüchtig, berechnend, wenig empathisch und generell gefühlskalt. „Sie zeichnen sich durch ein permanent antisoziales Verhalten aus und scheinen für negative Folgen ihrer Taten keine Reue zu empfinden“, schreiben Wissenschaftler um Arielle Baskin-Sommers von der Yale University in New Haven. „Man sagt auch: Psychopathische Menschen schauen niemals mit Bedauern zurück oder mit Bedenken nach vorn.“ Doch womöglich stimmt ein Teil dieser Annahme gar nicht, wie nun ein Experiment der Psychologin und ihren Kollegen nahelegt.

Entscheidungen am Glücksrad

Die Forscher haben untersucht, wie Psychopathen Entscheidungen treffen. Dafür rekrutierten sie in einer für ihre hohe Kriminalitätsrate bekannten Region gezielt Probanden: mithilfe von Flyern, die zu riskantem Verhalten wie Glücksspiel, Drogenmissbrauch oder ähnlichem aufriefen. 62 auf diese Weise gefundene Männer wurden dann auf psychopathische Persönlichkeitsmerkmale hin untersucht.

Anschließend sollten sie an einem Glücksspiel teilnehmen und möglichst viele Punkte gewinnen. Dafür standen ihnen zwei Glücksräder – ähnlich wie beim Roulette – zur Verfügung, an denen jeweils eine unterschiedliche Punktzahl gewonnen und verloren werden konnte. Für eines dieser Räder mussten sich die Probanden in jeder Runde neu entscheiden, nachdem sie gesehen hatten, welches Ergebnis das andere Rad zuvor erzielt hatte. Nach jedem Durchgang wurden sie zudem gefragt, wie sie sich angesichts des Ergebnisses fühlten.

Bedauern wirkt sich nicht aus

Erstaunlicherweise zeigte sich: Hatten Spieler mit ausgeprägten psychopathischen Zügen in einer Runde eine ungünstige Wahl getroffen und beispielsweise Verluste gemacht, empfanden sie rückblickend sehr wohl manchmal Bedauern für ihre Entscheidung – und zwar genauso häufig oder sogar häufiger als Probanden, die kaum psychopathische Merkmale aufwiesen.

Doch es gab einen entscheidenden Unterschied: Bei aus psychologischer Sicht unauffälligen Menschen beobachteten die Forscher, dass Runde für Runde die Entscheidung zum Teil auch durch die Stärke des zuvor empfundenen Bedauerns beeinflusst wurde. Das negative Erlebnis schien sich dabei ähnlich auf die nächste Wahl auszuwirken wie die tatsächlichen Gewinnchancen. Nicht so jedoch bei den Psychopathen: Sie ließen sich kaum von der zuvor gefühlten Emotion lenken und trafen auch nach wiederholten Fehlschlägen weiter riskante Entscheidungen.

Ursache im Gehirn?

Für die Wissenschaftler scheint damit klar: Das für Psychopathen typische Verhaltensmuster, Entscheidungen quasi ohne Rücksicht auf Verluste zu treffen, gründet sich nicht auf einer Unfähigkeit, negative Gefühle zu empfinden. Stattdessen scheinen sie diese Emotionen für zukünftige Entscheidungsfindungen schlichtweg nicht zurate zu ziehen.

Interessant dabei: Um Entscheidungen rückblickend zu bewerten und daraus auch zu lernen, ist kontrafaktisches Denken nötig. Das heißt: Man muss sich beispielsweise überlegen, was passiert wäre, hätte man eine andere Wahl getroffen. Genau in jenen Gehirnregionen, die für diese Art des Denkens zuständig sind, haben Psychopathen jedoch oft strukturelle und funktionelle Defizite.

Selektive Wahrnehmung als Erklärung

Auch ihre unnatürlich ausgeprägte selektive Wahrnehmung könnte für das Entscheidungsverhalten der Psychopathen eine Rolle spielen, glauben Baskin-Sommers und ihre Kollegen. „Im Experiment haben wir die Probanden ausdrücklich aufgefordert, möglichst viele Punkte zu gewinnen. Das könnte ihren Fokus verschoben haben, sodass sie sich im Spiel zu sehr nach der höchsten Gewinnmöglichkeit richteten – und ihre Gewinnchancen dabei überschätzten, dem zu erwartenden Bedauern im Falle eines Verlusts hingegen ungewöhnlich wenig Aufmerksamkeit schenkten“, schreiben die Forscher.

In Zukunft will das Team genauer erforschen, welche Mechanismen zu diesem Ungleichgewicht führen: „Die Prozesse hinter der auffälligen Trennung zwischen gefühlsbedingter Erfahrung und dem Treffen von Entscheidungen zu entschlüsseln, ist wichtig, um unser Verständnis der kognitiven und neurobiologischen Wurzeln der Psychopathie zu verbessern“, schließen die Wissenschaftler. (Proceedings oft he National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1609985113)

(PNAS, 30.11.2016 – DAL)

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