Diese komplexen Strukturen nachzubauen, erfordert einiges mehr an Technik, Wissen und Aufwand als bei einer Bakterienzelle. Die mehr als 200 Forscher des Synthetic Yeast Project (Sc 2.0) arbeiten seit Jahren an dem Ziel, alle 16 Chromosomen einer Hefezelle zu synthetisieren und so lebensfähige Kunst-Organismen zu erzeugen. Im Jahr 2014 erzielten sie ihren ersten Durchbruch: Es gelang ihnen, erstmals, Hefe mit einem ersten künstlichen Chromosom herzustellen.
Sechs künstliche Chromosomen
Jetzt vermelden die Wissenschaftler des Synthetic Yeast Projects einen weiteren Meilenstein: Sie haben inzwischen sechs Chromosomen der Bäckerhefe konstruiert und erfolgreich in lebende Hefezellen eingebaut. Gut ein Drittel des Hefegenoms ist damit bereits synthetisch nachgebaut. Zudem sind weitere Chromosomen bereits in Arbeit.
„Alle Kombinationen dieser synthetischen Chromosomen regulierten erfolgreich das Wachstum von diploiden Hefezellen, auch wenn ihre natürlichen Gegenstücke fehlten“, berichten Sarah Richardson von der Johns Hopkins University in Baltimore und ihre Kollegen. Das größte der synthetischen Chromosomen umfasst mehr als eine Million Basenpaare – es ist damit das größte jemals im Labor erzeugte Chromosom.
Maßgeschneidertes Erbgut
Wie die Forscher berichten, sind die künstlichen Chromosomen keine reinen Kopien ihrer natürlichen Vorbilder. Stattdessen verschoben die Wissenschaftler viele DNA-Abschnitte von einem Chromosom auf ein anderes. Andere Sequenzen schnitten sie heraus, weil sie ihren Erkenntnissen nach keine entscheidende Funktion besitzen.
Trotz dieser insgesamt tausenden von Änderungen und der Umverteilung des Erbguts zwischen den Chromosomen wuchsen die Hefen nach dem Einpflanzen dieses Erbguts normal, wie die Forscher berichten. „Bisher sind wir auf keine fundamentalen Hindernisse gestoßen“, sagt Joel Bader von der Johns Hopkins University. „Wir sind daher voll im Zeitplan.“
Die Projektforscher planen, noch innerhalb der nächsten zwei Jahre auch die restlichen zehn Hefechromosomen zu synthetisieren und in Hefezellen einzubauen. In einem weiteren Schritt wollen sie der Hefe ein zusätzliches, 17. Chromosom verleihen. Auf diesem komplett künstlichen Gebilde sollen alle für die Proteinproduktion der Zellen nötigen Kontrollgene zusammengefasst sein.
Gemischte Aussichten
„Diese Arbeit bereitet die Bühne für die Vollendung von maßgeschneiderten künstlichen Genomen, die den Bedürfnissen der Medizin und Industrie entsprechen“, meint Jef Boeke vom New York University Langone Medical Center. Gerade die Hefe sei ein wichtiger Helfer bei der Produktion von medizinischen und biotechnischen Wirkstoffen – und dank des künstlichen Genoms lasse sie sich künftig noch besser optimieren.
Während die Wissenschaftler des Synthetic Yeast Projects darin vor allem Grund zu Freude sehen, dürften andere solche Eingriffe in die Natur weitaus skeptischer sehen. Denn welche Risiken die massenhafte Produktion von maßgeschneiderten und mit Design-DNA versehenen Lebewesen bringt und welche ethischen Fragen sich dadurch ergeben, ist bisher kaum erforscht oder diskutiert. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aaf4557)
(AAAS/ Johns Hopkins Medicine / Langone Medical Center, 10.03.2017 – NPO)
10. März 2017