Nicht nur Stress und Lärm: Entgegen bisherigen Annehmen kann Tinnitus auch genetische Ursachen haben. Eine Zwillingsstudie spricht dafür, dass beidseitige Ohrgeräusche häufig eine signifikante erbliche Komponente haben – vor allem bei Männern. Diese Erkenntnis eröffnet künftig vielleicht neue Möglichkeiten der Vorbeugung und vielleicht auch der Therapie, wie die Forscher berichten.
Summen, Piepsen, Rauschen: Allein in Deutschland sind mindestens drei Millionen Menschen von einem Tinnitus betroffen. Das perfide an diesen lästigen Ohrgeräuschen: Die Geräusche existieren eigentlich gar nicht, es sind Phantomklänge, die von unserem eigenen Gehirn produziert werden. Zur Therapie setzen Mediziner daher vor allem auf eine Kombination von Verhaltens- und Hörtherapie, aber auch auf Musik.
Nur Umweltfaktoren?
Doch warum bekommen einige Menschen die quälenden Ohrgeräusche und andere nicht? Bisher führten Forscher dies vor allem auf psychische Ursachen und äußere Einflüsse zurück: Stress, starker Lärm und andere Umwelteinflüsse gelten als Hauptauslöser für den Tinnitus.
Aber das gilt offenbar nicht immer: Christopher Cederroth vom Karolinska Institut in Göteborg und seine Kollegen haben nun Hinweise darauf entdeckt, dass Tinnitus auch genetisch bedingt sein kann. Für ihre Studie hatten sie Daten einer schwedischen Zwillingsdatenbank nach Tinnitusfällen durchsucht. Wenn es eine erbliche Komponente gibt, dann müssten eineiige Zwillinge häufiger beide erkranken, weil sie das gleiche Erbgut tragen.
Beidseitiger Tinnitus ist auch genetisch bedingt
Und tatsächlich: Die Auswertung ergab, dass der beidseitige Tinnitus gehäuft bei beiden eineiigen Zwillingsgeschwistern auftritt – besonders, wenn es sich um männliche Zwillinge handelt. „Dieses Ergebnis ist überraschend und unerwartet“, sagt Cederroth. „Denn entgegen der konventionellen Sicht gibt es offenbar durchaus eine genetische Basis bei bilateralem Tinnitus.“
Ein beidseitiger Tinnitus bei Männern könnte daher weniger stark umweltbedingt sein als bisher angenommen. Stattdessen haben einige Männer offenbar eine Veranlagung dazu, ein solches Ohrgeräusch zu entwickeln. Bei einseitigen Ohrgeräusche dagegen fanden die Wissenschaftler keine Hinweise auf eine erbliche Komponente. „Das zeigt, dass einige Formen des Tinnitus eine signifikante genetische Komponente besitzen – und sogar dominant gegenüber Umweltfaktoren sind“, sagt Cederroth.
Nach Ansicht der Forscher könnte diese Erkenntnis auch für die Behandlung und Vorbeugung eines Tinnitus wichtig sein. Denn wenn ein Mensch weiß, dass er genetisch vorbelastet ist, dann kann er potenziell auslösenden Umweltfaktoren wie Stress oder Lärm gezielter aus dem Weg gehen. Sollte man zudem herausfinden, welche Gene verantwortlich sind, dann eröffne dies möglicherweise auch neue Therapieoptionen, so Cederroth du seine Kollegen. (Genetics in Medicine, 2017; doi: 10.1038/GIM.2017.4)
(Karolinska Institutet, 13.03.2017 – NPO)