Paläontologie

Muss der Dino-Stammbaum umgeschrieben werden?

Fossilanalysen sprechen für neue Aufteilung der Dinosaurier-Großgruppen

Stimmt der neuen Stammbaum, dann gehören der Tyrannosaurus rex und seine Verwandten zu einem anderen Hauptast der Dino-Geschichte als bisher gedacht. © David Monniaux/ CC-by-sa 3.0

Paläontologische Sensation: Der Stammbaum der Dinosaurier muss vielleicht komplett umgekrempelt werden. Denn neue Fossilanalysen sprechen dafür, dass die beiden bisherigen Hauptgruppen der Dinos – die Vogelbecken- und die Echsenbecken-Dinosaurier – falsch sind. Stattdessen könnten Tyrannosaurus und Co enger mit den Vogelecken-Dinos verwandt sein als mit den bisher als ihre Schwestergruppe geltenden Sauropoden.

Fast 130 Jahre lang schien klar: Die Dinosaurier teilen sich in zwei große Gruppen auf. Auf der einen Seite stehen die Vogelbecken-Dinosaurier – Ornithischia – mit bekannten Vertretern wie dem Triceratops oder Stegosaurus. Die zweite große Gruppe bilden die Saurischia mit ihrem eher echsenähnlichen Becken. Zu ihnen gehören gängiger Lehrmeinung nach sowohl langhalsige, pflanzenfressende Sauropoden wie Brachiosaurus und Brontosaurus als auch räuberische Theropoden wie der berühmte Tyrannosaurus rex.

74 Dinosaurier-Arten neu analysiert

Doch dieser Stammbaum ist möglicherweise grundlegend falsch – das zumindest glauben Matthew Baron von der University of Cambridge und seine Kollegen. Für ihre Studie haben sie 74 frühe Dinosaurierarten erneut einer umfangreichen anatomischen Analyse unterzogen und dabei 457 Merkmale detailliert miteinander verglichen.

„Als wir unsere Analyse begannen, rätselten wir darüber, warum einige frühe Vogelbecken-Dinosaurier den Theropoden anatomisch so ähnlich waren“, erklärt Baron. Ebenfalls seltsam erschien es, warum die Vögel mit ihren eindeutig „vogeligen“ Becken ausgerechnet aus den Theropoden entstanden – und damit einer Dinogruppe, die nach gängiger Lehrmeinung zu den Echsenbecken-Dinosauriern gehörte.

T. rex und Co falsch eingeordnet?

Nach Ansicht von Baron und seinen Kollegen gibt es dafür nun eine einleuchtende Erklärung: Die Theropoden waren schlicht falsch eingeordnet. Bei ihrer Neuanalyse der Fossilien stießen sie auf 21 anatomische Merkmale, die die Raubdinosaurier nicht mit den Saurischia, sondern mit den Vogelbecken-Dinosauriern verbindet.

Der alte und der neue Stammbaum im Vergleich © Natural History Museum

„Unsere Ergebnisse sprachen dafür, dass diese beiden Gruppen Teil der gleichen Stammeslinie waren“, sagt Baron. „Dies war ein ziemlicher Schock, denn es widersprach allem, was wir gelernt hatten.“ Doch die Daten waren so überzeugend, dass die Wissenschaftler nun für einen kompletten Umbau des Dinosaurier-Stammbaums plädieren.

Stammbaum umsortiert

Im neuen Stammbaum-Entwurf bilden T. rex und die anderen Theropoden nun eine gemeinsame Gruppe mit den Pflanzenfressern der Ornithischia. Für diese Stammeslinie wählten die Forscher den Namen Ornithoscelida – eine Bezeichnung, die bereits der Evolutionsbiologe Thomas Huxley im Jahr 1870 vorschlug. Dieser Großgruppe gegenüber steht nun eine Linie, die die Sauropoden und die frühen Fleischfresser der Herrerasaurier umfasst.

„Die Auswirkungen dieser neuen Sichtweise sind so überraschend wie tiefgreifend. Denn jetzt sind die Vogelbecken-Dinosaurier erstmals direkt mit den Vorfahren der heute lebenden Vögel verknüpft“, sagt Koautor David Norman von der University of Cambridge. Auch wenn die Theropoden selbst keine vogelähnlichen Becken hatten, beweise die Evolution der Vögel aus dieser Gruppe, dass die Anlage zum Vogelbecken auch bei diesen Dinosauriern vorhanden war.

Laurasia statt Gondwana?

Und noch etwas brachte die Neuanalyse der Dino-Fossilien zutage: Entgegen bisheriger Annahme könnte die ersten Dinosaurier etwas früher entstanden sein als bisher angenommen – und auch ganz woanders. Denn bisher hielt man den urzeitlichen Südkontinent Gondwana für die Geburtsstätte der Riesenechsen, unter anderem, weil einige vermeintlich sehr ursprüngliche Herrerasaurier dort gefunden wurden.

Doch wenn die Herrerasaurier gar nicht so nah an der Wurzel der Dinosaurier stehen wie bisher vermutet, dann ändert dies auch die Sicht auf Ort, Zeit und Natur der allerersten Dinosaurier, wie Baron und seine Kollegen erklären. Demnach könnte die ersten Ur-Dinos in Laurasia entstanden sein, dem nördlichen Gegenpart von Gondwana und dies schon vor rund 247 Millionen Jahren – und damit etwas früher als bisher gedacht.

Warum die Lehrbücher zu Phylogenie der Dinosaurier vielleicht umgeschrieben werden müssen© Natural History Museum

Lehrbücher falsch?

Müssen nun die Lehrbücher umgeschrieben werden? Nach Ansicht der Forscher spricht einiges dafür: „Wenn wir richtig liegen, dann kann der neue Stammbaum einige Inkonsistenzen der Anatomie und Verwandtschaftsbeziehungen bei den Dinosauriern auflösen“, sagt Koautor Paul Barrett vom Natural History Museum in London.

Ähnlich sieht es auch Baron: „130 Jahre lang hatten Paläontologen eine bestimmte Vorstellung von der Phylogenie der Dinosaurier. Doch unsere Forschung spricht dafür, dass wir die evolutionäre Geschichte dieser Kreaturen neu betrachten müssen“, so der Forscher. „Wenn unser Vorschlag die akademische Prüfung übersteht, dann müssen alle wichtigen Lehrbücher neu geschrieben werden.“ Noch allerdings muss diese neue Stammbaumversion durch weitere Fossilanalysen verifiziert werden.

Immerhin attestieren auch nicht an der Studie beteiligte Paläontologen Baron und seinen Kollegen eine solide Methodik und überzeugende Arbeit. „Weil die Forscher etablierte Standardmethoden genutzt haben, können ihre Ergebnisse nicht einfach als andere Meinung oder Spekulation abgetan werden“, betont Kevin Padian von der University of California in einem begleitenden Kommentar. „Stattdessen müssen die Merkmalsanalysen nun im Detail nachvollzogen werden.“ (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature21700)

(University of Cambridge, 24.03.2017 – NPO)

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