Eine ganz andere Erklärung hat nun der Archäologe Joshua Pollard von der University of Southampton in einem Fachartikel vorgestellt. Er hat die Lage und den Kontext des Pferdes genau untersucht und dabei gleich mehrere Indizien gegen die gängige Stammeszeichen-Theorie und für eine eher rituell-religiöse Bedeutung des Weißen Pferdes entdeckt.

Vom Boden aus sind nur Teile des Pferdes zu erkennen, denn es liegt auf der Hügelkuppe. Hier der Blick auf Teile des Kopfes. © Ethan Doyle White/ CC-by-sa 3.0
Lage und Ausrichtung passen nicht ins Bild
Ein erster Hinweis ist die Position des Pferdes: Es liegt so auf der Hügelkuppe, dass es eigentlich nur aus der Luft in Gänze zu sehen ist. Vom Boden aus sieht man nur Teile des Geoglyphen. Doch wenn dieses Pferd als Stammeszeichen und Markierung des Territoriums gedacht war: Warum scharrte man das Bild dann nicht in den steileren Hang des Hügels statt auf den nur sanft geneigten Teil?, so Pollards Frage.
Eine weitere Auffälligkeit ist nach Ansicht des Archäologen die Ausrichtung des Scharrbilds: Der Körper des Pferdes liegt nicht parallel zu den Konturen des Hügels, sondern zeigt leicht hangaufwärts. Dadurch wirkt es, als wenn das Pferde gerade den Hügel hinauf galoppiert – direkt auf weitere prähistorische Relikte und den westlichen Horizont zu.
Geoglyph als „Sonnenpferd“?
Nach Ansicht von Pollard gibt es für diese Auffälligkeiten eine einleuchtende Erklärung: Das Weiße Pferd stellt kein Stammeszeichen dar, sondern ist ein sogenanntes „Sonnenpferd“ – ein in der europäischen Bronzezeit weitverbreitetes religiöses Symbol. Es repräsentierte das Pferd, das den mythischen Sonnenwagen zog.
„Der Glaube an eine göttliche Sonne, die bei Tag in einem Pferdewagen über den Himmel gezogen wird und bei Nacht mittels Boot oder Kutsche durch die Unterwelt reist, ist ein wiederkehrendes Motiv in indoeuropäischen Mythologien“, erklärt Pollard. Bei Ausgrabungen sind bisher schon viele solcher Sonnenwägen gefunden worden, sowohl als Gravuren auf Bronze oder Goldobjekten, als auch als Figuren, wie beispielweise beim Sonnenwagen von Trundholm.
Dem Weg der Sonne folgend
Was aber spricht dafür, dass das Pferd von Uffington ein solches Sonnenpferd ist? Wie Pollard erklärt, ist dies vor allem die Ausrichtung: Das Pferd folgt in seiner Bewegung dem scheinbaren Bogen der Sonne am Himmel. Es galoppiere entlang des Weges, den die Sonne zur Zeit der Wintersonnwende nehmen würde, so der Archäologe.
Der enge Bezug des Weißen Pferdes zum Himmel könnte erklären, warum das Pferd vom Boden aus nur teilweise zu sehen ist: Sein Zweck war eher ritueller Natur und daher war die korrekte Ausrichtung auf den Himmel das Entscheidende. „Seine Position auf den Berkshire Downs hatte für seine Erschaffer wahrscheinlich eine immense religiös-kultische Bedeutung“, meint Pollard. Das Weiße Pferd sei wahrscheinlich ein Ort gewesen, an dem bestimmte Rituale zu Ehren der Sonne stattfanden.
Sollte Pollards Interpretation korrekt sein, dann belegt das Weiße Pferd von Uffington auch, dass die Menschen in Südengland damals ähnliche Glaubensvorstellungen hatten wie ihre Zeitgenossen auf dem Kontinent. (Antiquity, 2017; doi: 10.15184/aqy.2016.269)
(Antiquity, ibtimes, 26.04.2017 – NPO)
26. April 2017