Paläontologie

Urzeitwal füllt evolutionäre Lücke

Fossilien eines Bartenwal-Vorfahren haben Zähne und verkümmerte Beine

Illustration von Mystacodon selenensis. Der Vorfahre heutiger Bartenwale hat vermutlich bodennah nach Beute gejagt. © Alberto Gennari

Als Bartenwale die Zähne verloren: Fossilienfunde werfen ein neues Licht auf die Evolutionsgeschichte von Bartenwalen. Die versteinerten Skelette eines Urzeit-Wals weisen Zähne und rudimentäre Hinterbeine auf. Damit stellt der Fund ein lange gesuchtes Bindeglied zwischen aktiv jagenden Basilosauriern und den heutigen zahnlosen Bartenwalen wie Blauwal und Co dar.

Wenn Paläontologen die Evolution verschiedener Tierarten zurückverfolgen, stehen sie oft vor einem Problem: Es fehlen die entscheidenden Fossilien eines „Missing Links“, eines Bindeglieds zwischen zwei bekannten Arten. Wenn solche seltenen Funde gemacht werden, sorgt dies entsprechend für besonderes Aufsehen, wie zuletzt bei der Entdeckung von Teleocrater rhadinus, einem Verwandten von Krokodilen und Dinosauriern.

Mitten im Staub des Pisco-Beckens in Peru legen Paläontologen das Fossil des urzeitlichen Wales frei. © Giovanni Bianucci

Urzeitwal in Peru gefunden

Einen ähnlich bedeutsamen Fund haben nun Paläontologen um Olivier Lambert vom Königlichen Belgischen Institut für Naturwissenschaften in Brüssel gemacht. Sie entdeckten in Peru das 36,4 Millionen Jahre alte Fossil eines urzeitlichen Vorfahren der Bartenwale.

Anders als Zahnwale wie der Orca haben diese sanftmütigen Riesen, zu denen unter anderem Buckel- und Blauwale zählen, keine Zähne. Stattdessen besitzen sie borstenartige Barten, mit denen sie Plankton und maritime Kleinstlebewesen aus dem Wasser filtern.

Vom Landjäger zum Meeresgiganten

Die Entstehungsgeschichte der heutigen Wale gilt weitgehend als aufgeklärt. Sie sollen sich vor etwa 50 Millionen Jahren aus landlebenden vierbeinigen Räubern nach und nach zu gigantischen Seemonstern entwickelt haben. Ein Höhepunkt dieser Evolution stellt der 18 Meter lange reißzahnbewährte Basilosaurus dar, der vor 40 Millionen Jahren die Ozeane unsicher machte.

Aus dessen Verwandten gingen dann die beiden großen Gruppen der Zahn- und Bartenwale hervor. Wie jedoch dieser Übergang vom aktiv jagenden Basilosaurus zu den heutigen wasserfilternden Bartenwalen vonstattenging, war bis zuletzt ein Rätsel.

Bartenwal mit Zähnen

Das Besondere der knapp vier Meter langen neu entdeckten Art ist, dass sie zwar ein Vorfahre von Blauwal und Co ist, aber gar keine Barten hat, wie Lambert erklärt: „Dieser frühzeitliche Bartenwal besitzt noch Zähne“. Daher haben die Forscher die neue Art auf den passenden Namen Mystacodon getauft – das heißt so viel wie „gezahnter Bartenwal“.

„Mystacodon passt perfekt zu dem, was wir von einem Bindeglied zwischen dem urzeitlichen Basilosaurier und den entfernt daraus abstammenden Bartenwalen erwarten würden“, kommentiert Lambert. „Und anhand seines Schädels vermuten wir, dass er zur Nahrungsaufnahme Techniken wie das Saugschnappen von Barschen oder vielleicht das Gründeln von Enten genutzt hat.“ Auch das fülle die Lücke zwischen jagenden Basilosauriern und Plankton fressenden Bartenwalen, argumentieren die Forscher.

Kleine Hinterbeinchen

Nicht nur die Zähne und das vermutete Fressverhalten zeichnen Mystacodon als Bindeglied zwischen Basilosaurus und heutigen Bartenwalen aus. Ein weiteres Herausstellungsmerkmal des Fossilienfundes sind die verkümmerten Hinterbeine des Urzeitwals.

Lange Zeit waren Paläontologen davon ausgegangen, dass Wale ihre hinteren Gliedmaßen bereits im Laufe der Basilosaurus-Phase ihrer Evolution verloren, also noch bevor die Aufspaltung in Zahn- und Bartenwale erfolgte. Aufgrund von Mystacodon vermuten die Wissenschaftler nun aber, dass die Vorfahren der Bartenwale und heutigen Zahnwale unabhängig voneinander ihre Hinterbeine verloren haben könnten.

Was die Knochendichte verraten könnte

Weiterführende Untersuchungen sollen die neuen Erkenntnisse der Paläontologen künftig untermauern. So hofft Lambert zum Beispiel, durch Analyse der Schädelknochendichte die These des Gründelns am Meeresboden zu belegen: „Wenn langsam schwimmende Meeressäuger nahe am Seegrund leben, ist ihr Knochen üblicherweise viel kompakter – und genau das wollen wir bei Mystacodon überprüfen.“ Zudem ist die Rückkehr zum Fundort in Peru geplant, um dort nach weiteren Fossilien zu suchen. (Current Biology Report, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.04.026)

(Königliches Belgisches Institut für Naturwissenschaften, Brüssel, 12.05.2017 – CLU)

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