
Der Eisbohrkern vor seiner Entnahme aus dem Bohrer © Nicole Spaulding/ University of Maine
Mit dem im Laufe der Zeit abgelagerten Schnee und der darin enthaltenen Luft hat der Eisbohrkern auch die atmosphärischen Bleigehalte der letzten 2.000 Jahre konserviert. Mit Hilfe von lasergestützten, hochgenauen Massenspektrometer-Analysen gelang es den Forschern, die Bleibelastung bis auf das Jahr genau zu rekonstruieren.
Verschmutzt schon seit 2.000 Jahren
Das überraschende Ergebnis: „Die neuen Daten zeigen, dass die europäische Luft der letzten 2.000 Jahre nahezu ununterbrochen mit Blei aus menschlicher Aktivität verschmutzt wurde“, berichten die Forscher. Schon lange vor der industriellen Revolution waren demnach die Bleiwerte der Luft messbar erhöht. Quellen des Schwermetalls war vor allem der Erzabbau, aber auch die Metallverarbeitung.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das, was wir für die natürliche Hintergrundbelastung durch Blei hielten, in Wirklichkeit ebenfalls anthropogenen Ursprungs ist – und das schon seit 2.000 Jahren“, konstatieren More und seine Kollegen. „Das hat weitreichende Bedeutung für aktuelle Politikentscheidungen in Umwelt, Industrie und öffentlicher Gesundheit.“

Bleiwerte der Luft in der Zeit vom Jahr 1 bis 2007 - das Absacken während der Pest-Pandemie ist klar zu erkennen. © Alexander More/ AGU/ GeoHealth
Kollaps durch den „Schwarzen Tod“
Den Beleg dafür, dass die gemessenen Bleiwerte tatsächlich aus menschlicher Aktivität stammen, lieferten die Bohrkerndaten für die Jahre 1349 bis 1353. Denn in dieser Zeit sackten die Messwerte abrupt auf Werte unter der Nachweisgrenze und damit nahezu Null ab. „Als wir das Ausmaß dieses Absinkens sahen – und das nur ein einziges Mal in den gesamten 2.000 Jahren – waren wir fasziniert“, sagt More.
Ein Blick in die Geschichte enthüllt die Ursache für die plötzliche „Bleipause“: In dieser Zeit grassierte in Europa die Pest. Der „Schwarze Tod“ raffte ein Drittel bis knapp die Hälfte der Bevölkerung dahin und brachte nahezu alle wirtschaftlichen Aktivitäten zu Erliegen – und damit auch den Abbau und die Verarbeitung von Blei und anderen schwermetallhaltigen Erzen. Als Folge sank auch die Bleibelastung der Luft auf nahezu null. Weitere, weniger ausgeprägte Senken in den Bleiwerten gab es im Jahr 1460, in der eine weitere Epidemie die Wirtschaft und damit die Bleinachfrage schwächte, und im Jahr 1885, bedingt durch eine starke Wirtschaftskrise.
Wahre Hintergrundbelastung ist fast Null
Die Messwerte aus der Zeit der Pest-Pandemie belegen, dass trotz des Vorhandenseins von Blei in der Erdkruste von Natur aus kaum etwas davon in die Luft gelangt, wie die Forscher erklären. Ohne den menschlichen Einfluss liegt die natürliche Bleibelastung der Luft demnach fast bei Null – und nicht bei den bisher als natürlich angesehenen präindustriellen Werten.
„Die neuen Messungen bedeuten einen signifikanten Wandel in unserem Verständnis der atmosphärischen Bleibelastung“, sagen die Forscher. „Denn das, was bisher als natürlicher Hintergrund galt und daher als gesundheitlich unbedenklich, war nicht natürlich. Es widerspricht auch unserer Annahme, dass vorindustrielle Bleiwerte keinen Effekt auf die menschliche Gesundheit hatten – weil sie natürlich waren.“ (GeoHealth, 2017; doi: 10.1002/2017GH000064)
(American Geophysical Union, 01.06.2017 – NPO)
1. Juni 2017