Neurobiologie

Gehirn traut selbstmanipulierten Eindrücken mehr

Visuelle Sinnesreize werden als weniger verlässlich eingestuft als vom Gehirn erschaffene

Nicht alles, was wir zu sehen glauben, existiert wirklich... © Nastia11/ iStock.com

Das überrascht selbst Forscher: Unser Gehirn stuft selbsterzeugte Pseudo-Informationen als verlässlicher ein als echte Sinneseindrücke – zumindest wenn es um die optische Wahrnehmung geht. Belege dafür liefert ein Experiment zum blinden Fleck – dem blinden Bereich in unserem Sehfeld, den das Gehirn selbst mit Inhalt füllt. Probanden erschien ein Muster vollständiger, wenn es dort leer war und erst vom Gehirn ergänzt wurde – entgegen den Erwartungen der Wissenschaftler.

Unsere Wahrnehmung ist manipuliert – von unserem eigenen Gehirn. Denn wie wir beispielsweise Gesichter, Objekte, Farben oder Bewegung sehen, hängt von unseren Erwartungen und Vorurteilen, den Hormonen und auch von unserem Geschlecht ab. Unser Gehirn ergänzt zudem unvollständige oder undeutliche Informationen und erzeugt so eher eine Interpretation als ein reales Abbild der Wirklichkeit. Im Extremfall gaukelt es uns so sogar Sinnesreize vor, die nicht da sind – bei Halluzinationen.

Ganz konkret zeigt sich dies an unserem blinden Fleck – der Stelle, an der der Sehnerv in die Netzhaut einmündet. Weil wir an dieser Stelle blind sind, füllt das Gehirn diese Stele in unserem Sehfeld auf: Es füllt ihn durch Sehinformationen der umliegenden Netzhautbereiche. „Dadurch fällt uns keine Lücke auf“, erläutert Peter König von dem Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück.

Blinder Fleck im Test

Unklar war aber bisher, wie unser Gehirn solche selbstergänzten Informationen bewertet: Stuft es sie als weniger verlässlich ein – weil sie ja schließlich nicht auf realen Reizen beruhen – oder tut es das nicht. „Ob wir uns überhaupt bewusst sind, dass so eine Information nicht vertrauenswürdig ist, war bisher vollkommen unklar“, erklärt König.

In einem Experiment haben er und seine Kollegen dies nun getestet. Die Probanden sahen dabei auf einem Bildschirm jeweils zwei Kreise, die mit einem Streifenmuster gefüllt waren. Nur bei einem war dieses Muster vollständig, der andere besaß genau im Bereich des blinden Flecks der Betrachter eine leere Stelle – ohne dass die Teilnehmer dies wussten. Sie sollten nun den Kreis auszählen, der ihrer Ansicht nach durchgängig gestreift war.

Proibanding im Experiment zum blinden Fleck. Rechts die beiden Kreise mit dem Muster. © Universität Osnabrück/ Ricardo Gameiro

Vorzug für manipulierten Seheindruck

„Wir hatten angenommen, dass die Probanden, weil sie ja vom blinden Fleck nichts wussten, sich gleich häufig für den einen und den anderen Kreis entscheiden, oder aber bevorzugt den lückenlosen, wirklich durchgängig gestreiften auswählen würden“, erklärt Königs Kollege Benedikt Ehinger.

Doch das Gegenteil war der Fall – auch zur Überraschung der Forscher: „Die Probanden wählten bevorzugt den Kreis aus, der teilweise im blinden Fleck angezeigt wurde – den sie also gar nicht zu hundert Prozent sehen konnten“, berichten die Forscher. „Das war ein verblüffendes Ergebnis.“ Denn dies bedeutet dies, dass das Gehirn die von ihm selbst erzeugte Information als verlässlicher bewertet als echte Sinnesreize aus der Außenwelt.

Damit stellen sich neue spannende Fragen: Lässt sich dieser Effekt auch bei anderen vom Gehirn konstruierten Sinneseindrücken beobachten? Wie genau wird die Verlässlichkeit gewichtet? Was sind die genauen Mechanismen, wonach im Gehirn solche Entscheidungen getroffen werden? „Dass subjektive Wahrnehmung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit manchmal über die Wirklichkeit gestellt wird, sollte genauer untersucht und beachtet werden“, sagt König. (eLife, 2017; doi: 10.7554/eLife.21761)

(Universität Osnabrück, 01.06.2017 – NPO)

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