Evolution

Erste Tiere entstanden früher als gedacht

Genetische Uhr spricht für explosive Evolution schon vor dem "Schneeball Erde"

Wann entstanden die ersten Vorläufer heutiger Tiergruppen? © cienpies/ iStock.com

Überraschend alte Wurzeln: Die Vorfahren aller großen Tierstämme könnten schon vor mehr als 700 Millionen Jahren entstanden sein. Dies legt eine Rekonstruktion mithilfe der „genetischen Uhr“ nahe. Sollte sich dies bestätigen, dann hätten die Urahnen der heutigen Tiergruppen sogar die Ära des „Schneeball Erde“ überlebt – eine extreme Vereisung des Planeten. Der Genstammbaum spricht zudem dafür, dass die Tiergruppen sich extrem schnell voneinander abspalteten, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten

Wann entstanden die ersten mehrzelligen Lebewesen auf der Erde – und damit die Vorfahren aller heutigen Tiere und Pflanzen? Diese Frage ist bisher hoch umstritten, auch weil fossile Belege Mangelware sind. Zahlreiche Funde belegen allerdings, dass schon zu Beginn des Kambriums vor etwa 540 Millionen Jahren die Vorfahren fast aller heutigen Tierstämme existierten – von Krebsen über Spinnentiere bis hin zu den Urahnen der Deuterostomen. Auch wesentliche Körpermerkmale wie das Gehirn, die Muskeln oder das Herz waren schon vorhanden.

Doch diese Organismen des Kambriums besaßen schon so komplexe und vielfältige Baupläne, dass sie keinesfalls die allerersten Mehrzeller gewesen sein können. Die Ursprünge der Tiere müssen demnach deutlich weiter zurückliegen. Tatsächlich haben Forscher bereits deutlich ältere Mehrzeller-Fossilien entdeckt. Doch sie sind teilweise umstritten und zudem extrem rar.

Spurensuche im Genom

Wann der „Startschuss“ für die Evolution der Mehrzeller stattfand, ist daher noch immer unklar. Um mehr Aufschluss darüber zu bekommen, haben nun Martin Dohrmann und Gert Wörheide von der Universität München die molekulare Uhr genutzt, um abzuschätzen, wann die ältesten Tierstämme entstanden.

Für ihre Studie verglichen sie 128 proteinkodierende Gene von 55 Tierarten, die alle heutigen Großgruppen des Tierreichs repräsentieren. Das Prinzip der molekularen Uhr beruht darauf, dass sich im Verlauf der Evolution genetische Veränderungen im Erbgut ansammeln. Spalten sich zwei Stammeslinien von einem gemeinsamen Vorfahren ab, unterscheidet sich ihr Erbgut deshalb umso mehr, je länger die Trennung zurückliegt.

Ergebnis der molekulargenetischen Datierung: Die meisten Großgruppen im Tierreich reichen weiter als 700 Millionen Jahr ezurück. © Dohrmann und Wörheide/ SCientific Reports, CC-by-sa 4.0

„Schneeball Erde“-Ära überlebt

Das Ergebnis: Zur Überraschung der Forscher spalteten sich die meisten Tiergruppen erheblich früher voneinander ab als bisher angenommen. Die Ursprünge der meisten Großgruppen des Tierreichs liegen schon im Neoproterozoikum vor mehr als 700 Millionen Jahren. Die allerersten Tiere könnte sogar schon vor einer Milliarde Jahren entstanden sein. „Unsere Schätzungen stimmen darin mit einigen paläontologischen und geochemischen Ergebnissen überein, die als Belege für tierisches Leben im frühen Neoproterozoikum gelten“, so Dohrmann und Wörheide.

Das Spannende daran: Die Vorläufer der heutigen Tiergruppen existierten demnach schon vor der extremen Vereisung des Planeten, die ihn zum „Schneeball Erde“ machte. Die Urzeit-Tiere müssen demnach diese Kälteperiode überlebt haben – trotz drastischen Klimawechsels und stark veränderte Lebensbedingungen in den Urzeitmeeren.

Aufspaltung innerhalb von nur 50 Millionen Jahren?

Und noch etwas Überraschendes ergaben die genetischen Datierungen: Die Verzweigung der frühen Tierstammbäume fand erstaunlich schnell statt: „Wir haben ein erstaunliches Muster einer relativ schnellen Radiation dieser Stammeslinien und ihrer grundliegenden Untergruppen festgestellt“, berichten Dohrmann und Wörheide. Demnach spalteten sich die Tierstämme nicht über lange Zeiträume hinweg nach und nach voneinander ab, sondern entstanden alle innerhalb von nur rund 50 Millionen Jahren. Nach geologischen Maßstäben ist dies ein extrem kurzer Zeitraum.

„Sollten sich unsere Ergebnisse bestätigen, wirft dies die Frage auf, was diese frühe Aufspaltung der Tiere auslöste und wie diese Tiere den Schneeball Erde überlebten“, konstatieren die Forscher. Um die Antworten zu finden und ihre Ergebnisse zu überprüfen, sind nun weitere Analysen mit zusätzlichen Gendaten und noch weiter optimierten Methoden nötig, wie sie erklären.

„Um schließlich auch fundierte Aussagen über das Aussehen und die Lebensweise der frühen Tiere machen zu können, brauchen wir außerdem noch mehr Erkenntnisse über die Umweltbedingungen im Neoproterozoikum sowie mehr Fossilien aus dieser Zeit, die sich eindeutig zuordnen lassen“, sagt Wörheide. Denn molekulargenetische Rekonstruktionen von Stammbäumen und Fossilfunde stimmen durchaus häufig nicht überein oder müssen noch mehrfach korrigiert werden. (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/s41598-017-03791-w)

(Ludwig-Maximilians-Universität München, 16.06.2017 – NPO)

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