Beutelteufel „Made in Europe“: In der Türkei haben Paläontologe das Fossil eines überraschend großen Beuteltiers entdeckt. Denn während die meisten Urzeit-Beutler der Nordhalbkugel nur mäuse- oder rattengroß wurden, erreichte dieser Fleischfresser immerhin die Größe einer Katze. Seine mächtigen Kiefer und Zähne zeigen zudem, dass er selbst vor größerer Beute nicht zurückschreckte. Die Forscher vergleichen Anatoliadelphys mit einer kleineren Ausgabe des Tasmanischen Teufels.
Beuteltiere sind heute typische Bewohner der Südhalbkugel: Kängurus, Koalas oder der Tasmanische Teufel kommen in Australien und Tasmanien vor, Oppossums vor allem in Südamerika. In Europa, Asien und Afrika dagegen gibt es heute keine Beuteltiere. Doch das war nicht immer so: Während der Kreidezeit und auch danach noch lebten auch in Europa noch frühe Beuteltiere, wie Fossilienfunde belegen.
Bisher dachte jedoch, dass die frühen Beuteltiere der Nordhalbkugel kaum größer als Mäuse oder Ratten wurden. Im Vergleich zu ihren Cousins im Süden, darunter dem gut drei Meter langen Riesenbeutler, dem Beutellöwen oder dem Beutelwolf waren die meisten nördlichen Arten eher schmächtig.
So groß wie eine Katze
Doch ein Fossilfund in der Türkei belegt nun das Gegenteil: Bei Kazan, nordwestlich von Antalya, haben Paläontologen die Relikte eines immerhin katzengroßen Urzeit-Beuteltieres entdeckt. Das Fossil ist bemerkenswert gut erhalten und umfasst Teile des Schädels und das fast vollständige Skelett des Tieres. Datierungen nach lebte „Anatoliadelphys maasae“ vor rund 43 Millionen Jahren.
Ob Anatoliadelphys einen Beutel besaß, wissen die Paläontologen nicht, denn Weichteile sind bei dem Fossil nicht erhalten. Aber aus der Anatomie der Zähne und Knochen schließen sie, dass er zu den Marsupialia und damit den Beuteltieren im engeren Sinne gehört haben muss. „Mit einem Körpergewicht von drei bis vier Kilogramm ist Anatoliadelphys eines der größten Beuteltiere, die von der Nordhalbkugel bekannt sind.“, berichten die Forscher.
Ein knochenknackendes Gebiss
Der Urzeit-Beutler besaß sehr kräftige Kiefer und Zähne. Sein Gebiss zeigt, dass er eindeutig ein Fleischfresser war. „Er konnte wahrscheinlich alles fressen, was er fing: Käfer, Schnecken, Frösche, Echsen und sogar kleine Säugetiere“, erklärt Koautor Robin Beck von der University of Salford. Selbst Knochen konnte Anatoliadelphys dank seiner mächtigen Kiefer wahrscheinlich problemlos knacken.
„Anatoliadelphys demonstriert damit, dass mindestens eine Stammeslinie der nördlichen Beuteltiere während des frühen Paläogens erfolgreich die Nische der mittelgroßen oder hypercarnivoren Fleischfresser erobert hat“, so die Forscher. Die Beine und Füße sprechen zudem dafür, dass dieses Urzeit-Beuteltier ein guter Kletterer war. „Damit war Anatoliadelphys definitiv ein sehr seltsames Geschöpf“, sagt Beck. „Man muss ihn sich als eine kleine Variante des Tasmanischen Teufels vorstellen, der im Gegensatz zu diesem auf Bäume klettern konnte.“
Zuflucht auf einer Insel?
Damit ist Anatoliadelphys nicht nur viel größer als die meisten bisher auf der Nordhalbkugel gefundenen Beuteltier-Fossilien, er lebte und ernährte sich auch anders als sie. „Dieser Fund verändert unsere Vorstellung davon, wie die Evolution der Beuteltier-Verwandten auf der Nordhalbkugel ablief“, sagt Beck. „Denn sie waren eindeutig sehr viel vielfältiger als wir jemals angenommen hätten.“
Erstaunlich ist dies vor allem deshalb, weil damals in Europa bereits viele räuberische Säugetiere lebten, die für den Beutler eine harte Konkurrenz gewesen wären. Doch wie die Paläontologen erklären, war die Region der Türkei, in der das Fossil gefunden wurde, vor 43 Millionen Jahren noch eine Insel. Dieses isolierte Refugium könnte es dem Anatoliadelphys ermöglicht haben, ohne die Konkurrenz räuberischer Säugetiere zu leben. (PLOS ONE, 2017; doi: 10.1371/journal.pone.0181712)
(The University of Salford, 21.08.2017 – NPO)