Neurobiologie

Wie Musik unsere Wahrnehmung verändert

Je nach Musik empfinden wir Berührungen unterschiedlich

Die Art der gehörten Musik beeinflusst, wie wir eine Berührung empfinden © TongRo/ iStock.com

Subtile Manipulation: Es ist kein Zufall, dass wir zum Kuscheln gerne romantische Musik auflegen. Denn die Musik beeinflusst unsere Berührungs-Wahrnehmung, wie ein Experiment belegt. Wir empfinden ein sanftes Streicheln unwillkürlich als sinnlicher, wenn dabei entsprechende Musik erklingt – und das ganz unabhängig davon, wer uns da gerade berührt. Denn diese subtile Manipulation unserer Sinne funktioniert selbst dann, wenn uns ein Roboter streichelt.

Musik ist tief in unserer Natur verankert: Schon Ungeborene reagieren auf harmonische Klänge, Musik weckt große Gefühle und kann sogar heilsam wirken – für Geist und Körper zugleich. Sogar unsere Genaktivität verändert sich, wenn wir Musik hören.

Musik beeinflusst Berührungs-Empfinden

Eine weitere Wirkung der Musik haben nun Forscher um Tom Fritz vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften entdeckt. Für ihre Studie hatten sie untersucht, wie verschiedene Musikstücke auf Berührungen wirken. Der Clou dabei: Die Berührung erfolgte „inkognito“ – hinter einem Vorhang. Die Probanden wussten daher nicht, ob sie ein Roboter mit einem Pinsel streichelte oder ein Mensch.

Es zeigte sich: Welche Musik wir hören beeinflusst auch, wie wir Berührungen wahrnehmen. „Wir haben beobachtet, dass wir Berührungen umso verführerischer erleben, je betörender wir die Musik empfinden, die wir dabei hören“, erklärt Fritz. „Bestimmte Merkmale der Musik scheinen sich demnach auf den Berührungsreiz zu übertragen.“

Funktioniert auch beim Roboter

Das Interessante dabei: Selbst als die Probanden vor dem Experiment erfuhren, dass sie nicht von einem echten Menschen, sondern von einem Roboter gestreichelt werden, beeinflusste die Musik, wie sexy die Berührung wahrgenommen wurde. Das belegt, dass die Transfereffekte von Musik auf Berührung auf sehr fundamentalen Mechanismen beruhen müssen – und nicht etwa auf der Vorstellung von einer Person eines bestimmten Geschlechts und Attraktivitätslevels.

Selbst wenn die Probanden wussten, dass ein Roboter das sanfte Streicheln durchführte, wirkte die Musik. © MPI CBS

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der emotionale Ausdruck einzelner musikalischer Klänge der gleichen Dynamik folgt wie der einer Berührung. Ein trauriger Klang wird somit in Bezug auf ihren Rhythmus ähnlich verarbeitet wie eine traurige Berührung, ein aggressiver entsprechend wie eine aggressive Berührung. Dementsprechend greifen wir zur genaueren Verarbeitung von Musik auf Bereiche im Gehirn zu, die sowohl für Berührung als auch Bewegung zuständig sind.

Sozialer Kitt

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen auch, welche evolutionäre Bedeutung Musik als soziale Technologie hat“, erklärt Fritz. Über die Beeinflussung unserer Wahrnehmung kann die passende Musik dazu beitragen, ein positives Gruppengefühl zu erzeugen. Sie lenkt unser Verhalten in Gruppen aber auch in Beziehungen und kann damit letztlich sogar unsere sexuelle Selektion und unsere Fortpflanzung beeinflussen.

Wie die Forscher erklären, widersprechen ihre Erkenntnisse damit einer Hypothese des bekannten Kognitionswissenschaftler Steven Pinker, nach der Musik nur ein „auditory cheesecake“ sei, also ein angenehmes Dessert. Musik ist demnach seiner Ansicht nach aus evolutionärer Sicht von geringer Bedeutung und nicht mehr als ein Nebenprodukt von Sprache. Doch die tiefgreifende Wirkung der Musik spricht nach Ansicht von Fritz und seinen Kollegen gegen diese These. (Journal of Experimental Psychology, 2017; doi: 10.1037/xge0000329)

(Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, 06.09.2017 – NPO)

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