Archäologie

Verwerfungen als Heiligtümer?

Auffällige Häufung von griechischen Tempeln über Brüchen, Gasaustritten und Quellen

Der Tempel des Apollo in Delphi: Seine Orakelkammer lag direkt über einer tektonischen Spalte im Untergrund. © Eglantine/CC-y-sa 3.0

Ob Delphi, Mykene oder Hierapolis: Die alten Griechen könnten viele ihrer Tempel absichtlich über tektonischen Verwerfungen gebaut haben – trotz Erdbebengefahr. Denn entlang dieser Brüche im Untergrund gab es besonders häufig Gasaustritte, Thermalquellen oder klaffende Zugänge zur „Unterwelt“. Diese Phänomene wiederum spielten eine wichtige Rolle für kultische Handlungen und Religion der Antike, wie ein britischer Forscher berichtet.

Das Orakel von Delphi war mehr als ein Jahrtausend lang eines der berühmtesten Heiligtümer des alten Griechenland. Die Priesterinnen des Orakels verkündeten Prophezeiungen, Warnungen und Weisheiten, nachdem sie in einer heiligen Quelle gebadet und die „erleuchtenden“ Dämpfe der innersten Tempelkammer eingeatmet hatten. Wie man heute weiß, traten dort aus einem Riss im Untergrund wahrscheinlich Gase aus, die die Priesterinnen in ihren Trancezustand versetzten.

Bruchstelle der Erdkruste

Dass es unter dem Heiligtum von Delphi diese Wasser- und Gasquelle gab, ist kein Zufall: Der Tempel liegt direkt über einer aktiven tektonischen Verwerfung. Deren Bewegungen haben den Untergrund aufgerissen und so dem Wasser und auch Gasen aus Hohlräumen im Gestein den Weg an die Oberfläche gebahnt. Damit lieferte die Geologie die wichtigsten „Zutaten“ für die legendären Orakel-Rituale.

Doch war diese Lage des Tempels nur ein Glückstreffer – oder steckte Kalkül dahinter? Nach Ansicht von Iain Stewart von der University of Plymouth ist letzteres durchaus wahrscheinlich. Demnach könnten die alten Griechen für viele ihrer Heiligtümer sogar absichtlich Standorte direkt an oder über aktiven Verwerfungen gewählt haben. „Der Bau dieser Tempel und Städte direkt an diesen Orten könnte systematischer erfolgt sein als man bisher dachte“, meint der Forscher.

Schützender Versatz

Der Bau eines Heiligtums direkt über einer aktiven Verwerfung erhöhte zwar das Erdbebenrisiko, gleichzeitig aber bot dies gleich mehrere Vorteile, wie Stewart erklärt. So führte der vertikale Versatz des Untergrunds oft dazu, dass steile, fast senkrechte Klippen und Plateaus entstanden. „Diese konnten als natürliche Bollwerke dienen, auf denen dann Befestigungen, Zitadellen und Tempelbauten errichtet wurden“, so der Forscher.

Das Löwentor von Mykene, links davon die auf der tektonische Bruchstufe erbaute Zyklopenmauer. © NikosFF/CC-by-sa 4.0

Ein Beispiel dafür ist Mykene: Die gesamte Zitadelle ist an zwei Seiten von den meterhohen Kalkstein-Steilstufen einer Verwerfung eingerahmt. Der südwestliche Arm dieser Verwerfung bildet das Fundament der berühmten Zyklopenmauern und läuft direkt am Löwentor entlang.

Auch das Heiligtum von Perachora Heraion am Golf von Korinth und der Tempel von Cnidus in der heutigen Türkei profitierten von einer solchen Bruchstufe: Der Orakelraum dieser Tempel wurde sogar direkt an die Felswand gebaut, in Cnidus sind mehrere Votivnischen in diese Wand gehauen, wie Stewart berichtet.

Rituelle Quellen

Ein weiterer Vorteil der geologischen Bruchstellen: Diese Risse bildeten Passagen für das Grundwasser und schufen dadurch Quellen. Diese spielten als Orte der rituellen Reinigung eine wichtige Rolle für die antiken Heiligtümer, machten die Verwerfungen aber auch attraktiv für den Bau von Städten und Siedlungen: „Die Grundwasseraustritte und die Sediment-Ansammlungen entlang von jungen Verwerfungen können ganze Korridore wasserreicher Zonen bilden“, so Stewart.

In Mykene sprudelte die „heilige Quelle“ direkt aus einem Ausläufer der großen Verwerfung. In dem der Göttin Hera geweihten Tempel von Perachora Heraion am Golf von Korinth lag die Orakelkammer direkt über einer aktiven Spalte. Stewart vermutet, dass hier früher sowohl Wasser als auch Gase aus dem Boden drangen. Als ein Erdbeben um 300 vor Christus diese Spalte schloss, verlor auch der Tempel seinen Status und geriet in Vergessenheit.

Diese Öffnung bildete den Zugang zum Plutonium – der "Unterwelt"-Kammer des Apollo-Tempels von Hierapolis. © Seynaeve/CC-y-sa 3.0

Heilige Dämpfe

„Die am meisten verehrten Quellen aber waren diejenigen, deren Mineralwässer gleichzeitig euphorisierende, halluzinogene oder sogar tödliche Dämpfe abgaben“, berichtet Stewart. „An solchen Stellen sammelte sich der Rauch oft in Spalten oder natürlichen Höhlen. Oft wurden auch extra Kammern unter den Tempelbauten errichtet, die den Effekt dieser Dämpfe konzentrierten.“ Offene Spalten im Untergrund galten zudem als Zugänge zur Unterwelt.

In Delphi lag die Orakelkammer des Apollotempels direkt über einer solchen offenen Spalte mit Gasaustritt, ähnlich war es im Heiligtum von Hierapolis in der heutigen Türkei. „Historische Quellen berichten, dass die Priester dort ihre übernatürliche und gottgleiche Macht demonstrierten, indem sie Tiere in die Kellerkammer setzten. Nach wenigen Minuten erstickten diese – scheinbar wie von Götterhand“, erzählt Stewart.

„Die Vorteile überwogen“

Nach Ansicht des Geologen sprechen diese und viele weitere Beispiele dafür, dass die Griechen bewusst Heiligtümer an aktiven Verwerfungen errichteten. „Ich sage hiermit nicht, dass jeder Tempel im antiken Griechenland auf einer solchen Spalte gebaut worden ist“, betont der Forscher. „Aber die alten Griechen waren sehr intelligent und ich denke, dass sie erkannten, dass solche Orte langfristig mehr Vorteile als Nachteile boten.“ (Proceedings of the Geologists’ Association, 2017; doi: 10.1016/j.pgeola.2017.07.009)

(University of Plymouth, 14.09.2017 – NPO)

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