Evolution

Wird der Tier-Stammbaum umgeschrieben?

Nicht die Schwämme, sondern die Rippenquallen spalteten sich als erste ab

Rippenquallen wirken nicht nur fremdartig - sie sind auch anders als alle anderen Tiere, wie sich jetzt zeigt. © Kevin Raskoff/ MBARI, NOAA/OER

Umwälzende Entdeckung: Entgegen bisheriger Annahme sind offenbar die Rippenquallen die Schwestergruppe aller anderen Tiere. Sie spalteten sich in der Evolution als erste vom Tier-Stammbaum ab – und nicht die Schwämme, wie bisher gedacht. Sollte sich dieses Ergebnis einer DNA-Studie bestätigen, müsste nicht nur der Stammbaum des Lebens umgeschrieben werden – auch die Evolution von Nerven und Muskeln verlief dann anders, wie die Forscher berichten.

Rippenquallen sind so faszinierend wie geheimnisvoll: Die halbtransparenten, von schillernden Rippen durchzogenen Galertkörper dieser Meerestiere wirken grazil und harmlos – und ähneln mit ihren pulsierenden Lichtern ein wenig einem zarten außerirdischen Raumschiff. Doch die Ctenophoren sind rabiate Räuber: In der Ostsee könnte die Einwanderung der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi sogar den Dorschbestand gefährden. Die rund 200 bekannten Arten der Rippenquallen sind zudem sehr anpassungsfähig und haben nahezu alle Meeresökosysteme besiedelt.

Sehr alt und doch fortschrittlich

Doch wie passen die Rippenquallen in den Stammbaum der Tiere? Über diese Frage rätseln und streiten Biologen schon seit der Entdeckung dieser eigentümlichen Tiergruppe. Einerseits legen Fossilfunde nahe, dass Ctenophoren zu den ältesten Tiergruppen der Erde gehören. Denn erste Vorfahren der Rippenquallen lebten schon vor rund 550 Millionen Jahren – und damit in der Zeit, in der die ersten Mehrzeller entstanden.

Andererseits jedoch besitzen Rippenquallen Muskeln und ein Nervensystem und scheinen damit höher entwickelt als beispielsweise die Schwämme. Lange hielt man daher die Schwämme für die primitivste Großgruppe im Tierreich und ordnete die Ctenophoren eher in eine Liga mit weiter entwickelten Formen wie Nesseltieren und den Bilateria zu – der Großgruppe, zu der auch wie gehören.

So sieht der neu rekonstruierte Stammbaum aus: Die Rippenquallen spalten sich als erste ab. © scinexx

Genetischer Stammbaum rekonstruiert

Jetzt jedoch wirft eine neue Genanalyse diesen weitgehend etablierten Stammbaum um. Nathan Whelan von US Fish and Wildlife Service und seine Kollegen haben das Erbgut und Transkriptom von 27 Rippenquallen sequenziert und es mit dem Genom von zehn weiteren Rippenquallenarten und 50 Spezies aus den anderen vier Großgruppen des Tierreichs verglichen. Mithilfe dieser Sequenzvergleiche rekonstruierten sie, wann sich welche Großgruppe im Stammbaum abgespalten hat.

Das überraschende Ergebnis: Nicht die vermeintlich so primitiven Schwämme trennten sich als erste vom Test der Tierwelt ab, sondern die Rippenquallen. „Die Ctenophoren sind damit die Schwestergruppe aller anderen heute existierenden Tiergruppen auf der Erde“, konstatieren Whelan und seine Kollegen. Das könnte bedeuten, dass der Stammbaum der Tiere umgeschrieben werden muss.

Nervensystem zweimal entstanden?

Doch dieses Ergebnis hat nicht nur Konsequenzen für den Stammbaum des Lebens. Sie wirft auch ein ganz neues Licht auf die Evolution des Nervensystems und der Muskeln. Denn wenn die Rippenquallen weniger eng mit eng mit allen höheren Tieren verwandt sind als die Schwämme und Placozoen, dann kann das Nervensystem nicht nur einmal entstanden sein, wie bisher angenommen.

Nervenssystem und Muskeln müssen die Rippenquallen unabhängig von den anderen Tiergruppen entwickelt haben. © Marsh Youngbluth/ NOAA

Stattdessen müssen die Rippenquallen und die gemeinsamen Vorfahren von Nesseltieren und Bilateria diese biologischen Strukturen konvergent – und damit unabhängig voneinander – entwickelt haben. Wie und warum dies geschah und warum sich Nerven und Muskeln dieser Stammbaumäste trotzdem relativ ähnlich sind, müssen nun weitere Forschungen zeigen.

„Die Platzierung der Rippenquallen als Schwestergruppe aller anderen Tiere erodiert die klassische, aber zutiefst fehlerhafte Vorstellung, dass wir die Tiere einfach von vermeintlich alten, ’niedrigen‘ Organismen zu ‚höheren‘ und weiter entwickelten anordnen können“, kommentiert Casey Dunn von der Yale University. (Nature Ecology & Evolution, 2017; doi: 10.1038/s41559-017-0331-3)

(Nature, 11.10.2017 – NPO)

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