Medizin

Antidepressiva wirken doppelt

Forscher entdecken zweiten Wirkmechanismus der gängigen Arzneimittel

Antidepressiva wirken nicht nur auf die Hirnbotenstoffe - sie fördern auch die Stressanpassung des Gehirns. © feverpitched/ iStock.com

Überraschende Entdeckung: Forscher haben einen zweiten, zuvor unbekannten Wirkmechanismus der gängigen Arzneimittel gegen Depression entdeckt. Demnach beeinflussen die Antidepressiva nicht nur den Hirnbotenstoff Serotonin, sondern auch die Kalziumaufnahme der Hirnzellen. Dadurch fördern sie die Bildung neuer Synapsen im Gehirn und die Anpassung an Stress. Diese Erkenntnis könnte nun helfen, neue, bessere Antidepressiva zu entwickeln, sagen die Forscher.

Eine Depression ist mehr als nur eine psychische Verstimmung: Schon seit den 1960er Jahren ist bekannt, dass im Gehirn depressiver Menschen ein Mangel des Botenstoffs Serotonin herrscht. Die gängigen Antidepressiva hemmen daher dessen Recycling-Prozess, um so die Menge des verfügbaren Serotonins zu erhöhen. Die Medikamente werden deswegen als selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI, bezeichnet.

Knockout-Mäuse im Stresstest

Das ist jedoch nicht die einzige Wirkung der Antidepressiva, wie nun Claus Normann und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Freiburg entdeckt haben. Für ihre Studie haben sie normalen Mäusen und Mäusen mit deaktiviertem Serotonin-Aufnahmemechanismus SSRI-Antidepressiva verabreicht. Anschließend setzten sie die Tiere Stress und Belastungen aus, die bei unbehandelten Tieren normalerweise ein depressionsähnliches Verhalten auslösen.

Die Erwartung: Bei den normalen Mäusen können die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wirken und verhindern daher eine Depression. Bei den Knockout-Mäusen jedoch dürfte diese Medikamente nicht funktionieren – wenn die Antidepressiva wirklich nur über den Serotoninhaushalt wirken.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer fördern auch das Wachstum neuer Synapsen © iStock.com

Wirkung unabhängig vom Serotonin

Doch es kam anders: „Zu unserer großen Überraschung zeigte sich auch bei Tieren ohne Serotonin-Transporter ein antidepressiver Effekt“, berichtet Normann. Beide Mäusegruppen zeigten trotz Stress und Belastung weiterhin ein ganz normales Verhalten. Das bestätigte, dass die Antidepressiva noch auf andere Weise als nur über das Serotonin wirken müssen. Aber wie?

Die Antwort fanden die Forscher, als sie das Gehirn der Tiere näher untersuchten. Wie sich zeigte, regten die SSRIs die Bildung neuer Synapsen im Gehirn an – und förderten damit die Anpassung an Stress und neue Reize. „Das verhindert eine stressbedingte Depression und hilft Tieren, die bereits depressionsähnliche Symptome zeigen“, erklärt Normann. Denn bei Depressiven ist diese synaptische Plastizität typischerweise geschwächt.

Nähere Analysen enthüllten, wie die Antidepressiva diesen Effekt ausgleichen: „Wir haben entdeckt, dass die SSRI-Medikamente diesen Anpassungsprozess normalisieren, indem sie die Kalziumkanäle der Nervenzellen blockieren“, berichtet Normann. „Unsere Studie zeigt deutlich, dass diese Blockade ein wesentlicher Wirkmechanismus von Antidepressiva ist.“

Chance auf neue Medikamente

Demnach wirken die gängigen Mittel gegen Depression auf gleich zweifache Weise. Sie normalisieren den Serotonin-Haushalt und stärken gleichzeitig die Stressanpassung des Gehirns. „Unsere Erkenntnisse können nun helfen, Medikamente zu entwickeln, die ganz gezielt den neu entdeckten Wirkmechanismus angreifen“, sagt Normann. „Das könnte Menschen helfen, bei denen bisherige Medikamente nicht oder kaum gewirkt haben. (Biological Psychiatry, 2017; doi: 10.1016/j.biopsych.2017.10.008)

(Universität Freiburg, 08.12.2017 – NPO)

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