Schön traurig: Ob Melodrama oder Horrorstreifen – im Film begeistern uns negative Gefühle oft besonders. Im realen Alltag sind Traurigkeit, Angst und Co dagegen eher weniger beliebte Emotionen. Forscher haben nun ein Erklärungsmodell für dieses scheinbare Paradox entwickelt. Es zeigt, warum wir negative Gefühle in Film und Kunst genießen können. Und warum diese Elemente ein Werk oft erst richtig spannend, interessant oder bewegend für uns machen.
Traurigkeit und Angst sind eigentlich sehr negative Gefühle. Nie würden wir jemandem wünschen, sich so zu fühlen – und doch scheinen uns gerade diese Emotionen immer wieder magisch anzuziehen: Wir schauen uns traurige Filme an und sind von Kunstwerken, Theaterstücken oder Liedern begeistert, die uns zum Weinen bringen, Angst machen oder andere negative Gefühle in uns hervorrufen. Wie kann das sein?
Die neuere Emotionspsychologie hat gezeigt, dass negative Gefühle besonders stark unsere Aufmerksamkeit binden, besonders intensiv erlebt werden und stark in Erinnerung bleiben. Das hat Winfried Menninghaus vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main und seine Kollegen auf eine Idee gebracht: Da die Künste ebenfalls Aufmerksamkeit binden, intensives Erleben ermöglichen und erinnert werden wollen, sind beide – die Künste und negative Gefühle – dann nicht füreinander prädestiniert?
Wechselbad der Gefühle
Mit dieser These als Ausgangspunkt entwickelten sie ein psychologisches Modell, das unsere scheinbar paradoxe Begeisterung für negative Gefühle in Film und Co erklären kann. Ihr Modell enthält zwei Faktoren. Der erste Faktor war bereits gut untersucht: Wir ordnen die Wahrnehmung von Kunstwerken in eine andere Kategorie von Erlebnissen ein als die der alltäglichen Realität. Diese kognitive Distanzierung schafft eine Art Sicherheitsraum, in dem wir negative Emotionen erleben können.
Der zweite Faktor, das eigentliche Herzstück des neuen Modells, enthält auf dieser Grundlage mehrere Mechanismen, durch die negative Emotionen sogar positiv zur Kraftquelle intensiven Kunsterlebens werden können. Der erste wird aus der großen Bedeutung von Variation und Dynamik für ästhetisches Erleben abgeleitet: Künstlerische Kompositionen, die uns in Wechselspiele positiver und negativer Gefühle verwickeln, werden als abwechslungsreicher, spannender und interessanter wahrgenommen.
Die Schönheit des Traurigen
Zudem haben gemischte Gefühle, die positive und negative Anteile enthalten, eine große Bedeutung für die Integration negativer Gefühle in die positive Betrachtungslust. So empfinden wir etwa tiefes emotionales Bewegtsein auch dann als positiv und lustvoll, wenn es traurige Gefühle enthält. Ebenso sind positiv erregende Gefühle von narrativer Spannung nicht ohne Gefühle von Unsicherheit, Sorge und Angst um Protagonisten zu haben, wie die Forscher erklären.
Hinzu kommt, dass auch die ästhetische Kraft der Darstellung selbst – zum Beispiel die Schönheit der Musik, der Worte, der Sprache oder der Farben – negative Emotionen sowohl intensiver als auch positiver erlebbar macht. Und schließlich kann die Suche nach einer Bedeutung ebenfalls in negativen Gefühlen etwas Positives entdecken.
Negatives gehört zur Lust dazu
Das scheinbare Paradox, warum negative Emotionen zur Lust an Kunstwerken dazu gehören, wird demnach erklärt, indem neue Erkenntnisse der Emotionspsychologie mit grundlegenden Prinzipien ästhetischer Wahrnehmung zusammen gedacht werden.
Die Ergebnisse zeigen, dass Kunstwerke, die negative Emotionen hervorrufen, oft als intensiver, interessanter, emotional bewegender und weniger langweilig, ja sogar als schöner wahrgenommen werden als ein reines Bad in positiven Gefühlen. Damit erklären sie, warum bestimmte Kunstgattungen wie Tragödien, Horrorfilme oder Melodramen uns so sehr gefallen. (Behavioral and Brain Sciences, 2017)
(Max-Planck-Gesellschaft, 27.12.2017 – DAL)