Materialforschung

Picasso-Gemälde mit Vorleben

Unterm Frauenbildnis verbirgt sich das Landschaftsbild eines Malerkollegen

Picassos Gemälde "La Miséreuse accroupie" beim Röntgenfluoreszenz-Scan © Art Gallery of Ontario (AGO)

Versteckte Landschaft: Hightech-Analysen haben neue Einblicke in ein berühmtes Gemälde von Pablo Picasso geliefert. Demnach übermalte der Künstler mit seiner „sitzenden Bettlerin“ das Landschaftsbild eines Malerkollegen – und nutzte sogar Strukturen des Vorgängerbildes für sein eigenes Gemälde. Zudem enthüllen die Scans, dass Picasso die Frauendarstellung mehrfach veränderte.

Moderne Analysetechniken und multispektrale Bildgebung haben sich in den letzten Jahren schon häufiger als wertvolle Helfer der Kunstgeschichte und Archäologie erwiesen. So enthüllten sie, dass Edvard Munch sein berühmtes Bild „Der Schrei“ nicht im Freien, sondern drinnen malte. Unter einem Frauenportrait von Edward Degas entdeckten Forscher das Bildnis eines jungen Modells und auch ein Rembrandt-Gemälde verbarg ein älteres, verborgenes Bild.

Klippen unterm Frauenrücken

Jetzt haben Forscher um Marc Walton von der Northwestern University auch bei einem bekannten Gemälde aus der blauen Periode von Pablo Picasso ganz neue Einblicke gewonnen. Für ihr Projekt hatten sie das Bild „La Miséreuse accroupie“ (Die hockende Bettlerin) aus dem Jahr 1902 mittels Röntgen-Radiografie, Röntgenfluoreszenz und Infrarot-Hyperspektralaufnahmen analysiert.

Schon die ersten Röntgenaufnahmen zeigten: Picasso hat sein Frauenbildnis nicht auf eine leere Leinwand, sondern auf ein schon fertiges Gemälde gemalt. Denn unter Picassos Werk trat im Röntgenlicht eine um 90 Grad gedrehte Landschaft zutage. Dieses stammt interessanterweise keineswegs von Picasso selbst, sondern von einem anderen damals in Barcelona arbeitenden Künstler, wie ein Stilvergleich ergab.

Das Interessante daran: Picasso übermalte das alte Gemälde offenbar nicht komplett, sondern arbeitete Teile davon in sein eigenes Werk ein. So tauchen die Linien der schroffen Klippen aus dem Landschaftsbild nun in der Struktur des Frauenrückens wieder auf.

Die Infrarot-Hyperspektral-Scans zeigen die Verteilung der Eisen- und Chrompigmente – vor allem durch letztere wird der später übermalte Arm sichtbar. © Northwestern University/ NU-ACCESS

Übermalter rechter Arm

Mithilfe der Hyperspektral-Aufnahmen und der Röntgenfluoreszenz konnten die Forscher rekonstruieren, in welchen Arbeitsschritten Picasso sein Frauenbildnis fertiggestellte. Denn diese Technik macht chemische Elemente verschiedener Pigmente sichtbar. Dabei zeigte sich: Ursprünglich malte Picasso die Frau mit erhobenem rechten Arm und einer Art Scheibe in der Hand. Erst später verbarg er den Arm wieder unter dem Umhang der Frau.

„Auf Basis der Blei-Kartierung im Röntgenfluoreszenz-Scan konnten wir das weiße Pigment rekonstruieren“, berichtet John Delaney von der National Gallery of Art in Chicago. „Legt man Infrarot darüber, ergibt dies ein vollständigeres Bild eines hochgereckten Arms mit Ärmel, Scheibe und Fingern.“ Die später darübergemalte Pigmentschicht bestand dagegen vorwiegend aus eisen- und chromhaltigen Blautönen.

Bei sich selbst abgeguckt

„Picasso hatte keine Hemmungen, während des Malprozesses seine Komposition noch zu verändern“, sagt Walton. Und offenbar scheute sich der Maler auch nicht davor, eine seiner frühere Arbeiten zu kopieren. Denn wie die Forscher entdeckten, entspricht die Haltung und Ausführung des später wieder übermalten rechten Arms genau dem eines in Aquarell ausgeführten Frauenbildes, das Picasso kurz zuvor gemalt hatte.

„Unser Team hat gerade erst angefangen, die Komplexität des Gemäldes zu enthüllen und schon einige subtile Veränderungen entdeckt, die Picasso auf seinem Weg zu fertigen Version machte“, so Walton. Die Analyse alter Gemälde mit modernen Hightech-Methoden ermögliche es, den zeitlichen Verlauf des Malprozesses sichtbar zu machen und so mehr über die Künstler und ihre Kreativität zu erfahren. Die Forscher haben die Ergebnisse ihrer aktuellen Analysen auf dem zurzeit im texanischen Austin stattfindenden Jahreskongress der American Association for the Advancement of Science (AAAS) vorgestellt.

(Northwestern University, 19.02.2018 – NPO)

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