Wenn Töne Farben haben: Forscher haben mehrere Genvarianten entdeckt, die möglicherweise eine bestimmte Form der Synästhesie erzeugen. Ein Erbgut-Vergleich bei drei Familien mit der Fähigkeit zum „Geräuschesehen“ zeigt: Viele dieser auffälligen genetischen Variationen beeinflussen die Verknüpfung von Nervenzellen im Gehirn und führen damit zu anders verkabelten Schaltkreisen. Das eine Synästhesie-Gen scheint es dagegen nicht zu geben.
Für sie ist die Fünf gelb, sie sehen blau bei Klavierklängen oder schmecken Joghurt beim A: Menschen mit Synästhesie erleben die Eindrücke unterschiedlicher Sinne nicht getrennt voneinander. Stattdessen sind bei ihnen manche Sinne auf faszinierende Weise miteinander verknüpft. Wodurch diese Fähigkeit zum „Farbenhören“ oder „Wörterschmecken“ ausgelöst wird, ist bis heute rätselhaft. Es scheint aber, dass der Faktor Vererbung eine Rolle spielt. Denn in vielen Familien tritt Synästhesie gehäuft auf. Das Geheimnis könnte demnach in den Genen liegen.
Fahndung im Erbgut
„Bildgebende Verfahren zeigen, dass die Schaltkreise im Gehirn von Synästheten sozusagen etwas anders verdrahtet sind“, sagt Amanda Tilot vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. Um der Biologie hinter dieser besonderen Verschaltung auf den Grund zu gehen, haben die Forscherin und ihre Kollegen nun das Genom von Mitgliedern aus drei Familien analysiert, in denen eine bestimmte Form der Synästhesie über mehrere Generationen hinweg immer wieder auftritt: Die Betroffenen sehen Farben, wenn sie Musik oder Geräusche hören.
Bei ihrer Untersuchung konzentrierten sich die Wissenschaftler vor allem auf das sogenannte Exom – jene Abschnitte im Erbgut, die für Proteine codieren. Würden sich Zusammenhänge zwischen dem Auftreten der gekoppelten Sinneswahrnehmung und bestimmten genetischen Varianten entdecken lassen?
Auffällige Variationen
Tatsächlich gab es innerhalb der jeweiligen Familien Auffälligkeiten: Verwandte mit Synästhesie verfügten oftmals über dieselben genetischen Besonderheiten. Insgesamt schienen Variationen in 37 Genen potenziell eine Rolle für diese Fähigkeit zu spielen. Frappierend dabei: Die auffälligen Variationen waren von Familie zu Familie unterschiedlich – es gab keine einzige Überschneidung.
Trotz dieser Unterschiede gab es jedoch durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den Familien. Denn etliche der identifizierten Gen-Varianten kamen in Erbgutabschnitten vor, die an der sogenannten Axonogenese und damit an der Bildung von Verknüpfungen zwischen einzelnen Neuronen beteiligt sind.
Wie die Forscher berichten, trifft das vor allem auf Varianten in sechs Genen namens COL4A1, ITGA2, MYO10, ROBO3, SLC9A6 und SLIT2 zu. Diese Gene kommen sowohl im auditiven als auch im visuellen Kortex vor und sind hauptsächlich während der frühen Kindheit aktiv – in einer Phase, in der sich in der Regel auch die Synästhesie manifestiert.
Probanden gesucht!
„Unsere Studie zeigt, wie genetische Variation unser sinnliches Erleben verändern kann“, konstatiert Mitautor Simon Baron-Cohen von der University of Cambridge. Demnach können unterschiedliche genetische Faktoren zu einer modifizierten Schaltung im Gehirn führen und dazu, dass die normalerweise in streng getrennten Arealen verarbeiteten Sinneseindrücke überlappen. Das eine Synästhesie-Gen scheint es dagegen nicht zu geben.
„Synästhesie ist ein schönes Beispiel für Neurodiversität, die wir respektieren und feiern sollten“, schließt Baron-Cohen. Um noch mehr über die Fähigkeit und ihre Hintergründe zu erfahren, sucht das Team nun nach weiteren Probanden für genetische Studien. (PNAS, 2018; doi: 10.1073/pnas.1715492115)
(Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, 06.03.2018 – DAL)