Medizin

„Undichte“ Darmwand macht krank

Defekte Barriere fördert Autoimmunerkrankungen und Entzündungen

Gelingt es Bakterien, die Darmbarriere zu überwinden, kann das krankmachen. © M. Vieira et al., Science

Leck in der Darmwand: Eine „undichte“ Darmbarriere kann offenbar Autoimmunerkrankungen wie Lupus fördern – und ist außerdem für die Infektanfälligkeit von Diabetespatienten mitverantwortlich. Zwei Studien zeigen: Gelangen Mikroben vom Darm in den Körper, können sie dort die Produktion von Autoantikörpern anstoßen und Entzündungen auslösen. Bei Zuckerkranken scheint es der hohe Blutzucker selbst zu sein, der die krankhafte Durchlässigkeit der Darmwand fördert, wie die Forscher berichten.

Über die Nahrung landet in unserem Darm täglich körperfremdes Material. Einige dieser Substanzen sollen von dort in den Körper transportiert werden – wertvolle Nährstoffe zum Beispiel. Andere Stoffe wie krankmachende Bakterien gelangen hingegen im Idealfall nicht dort hinein. Um zu regeln, wer Zutritt zum Körper erhält, gibt es die Darmwand. Diese Schleimhaut aus vielen Schichten von Zellen fungiert als Barriere, die nur ausgewählte Stoffe überwinden können.

Dies geschieht hauptsächlich über spezielle Transporterproteine in den Zellmembranen. Die Zwischenräume zwischen den Zellen sind dagegen durch sogenannte Tight junctions verschlossen, sodass sie für die meisten Stoffe nicht passierbar sind. Ist dieser Verschluss defekt, kann es zu gesundheitlichen Problemen kommen. Bekannt ist etwa, dass die Darmschleimhaut bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen durchlässiger ist als bei Gesunden.

Vom Darm in die Leber

Doch die Durchlässigkeit der Darmbarriere spielt offenbar nicht nur bei dieser Gruppe von Krankheiten eine Rolle, wie zwei Forscherteams nun herausgefunden haben: Sie scheint auch bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen sowie systemischen Entzündungen bei Diabetespatienten und Übergewichtigen mitzumischen.

E. gallinarum wandert vom Darm in die Leber. Dort verursacht es Entzündungen und Autoimmunreaktionen, die zu Autoimmunhepatitis und Lupus führen können. © Martin Kriegel

Manfredo Vieira von der Yale School of Medicine in New Haven und seine Kollegen untersuchten für ihre Studie die Autoimmunerkrankung Lupus. Dabei stellten sie fest: Bei Mäusen, die genetisch für die Krankheit anfällig gemacht worden sind, kann ein bestimmtes Darmbakterium durch die Darmwand in die Lymphknoten, die Leber und die Milz vordringen. In diesen Geweben löst der Keim Enterococcus gallinarum dann offenbar Entzündungen sowie die Produktion von Antikörpern aus, die für eine Autoimmunantwort typisch sind.

Keim fördert Lupus und Co

Könnte dieser Darmkeim tatsächlich Lupus und andere Autoimmunerkrankungen fördern? Analysen von menschlichem Lebergewebe schienen das zu bestätigen. So entdeckten die Wissenschaftler das Bakterium in den Organen von Lupuspatienten, nicht aber in Gewebe von gesunden Kontrollpersonen.

Darüber hinaus wiesen sie den Keim auch in der Leber von Menschen nach, die unter Autoimmunhepatitis leiden – eine Erkrankung, bei der die körpereigene Abwehr die Leberzellen angreift. Gelingt es dem Keim, die Darmbarriere zu überwinden, hat er demnach das Potenzial, Autoimmunerkrankungen auszulösen.

Defekt durch hohen Blutzucker

Welche Rolle die Darmwand bei einem ganz anderen Krankheitsbild spielt, zeigt eine Untersuchung von Forschern um Christoph Thaiss vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot. Das Team wollte wissen, warum Patienten mit starkem Übergewicht und Diabetes häufig besonders anfällig für Schleimhautinfektionen und Entzündungen sind. Bei ihren Experimenten mit zuckerkranken und übergewichtigen Mäusen fanden sie heraus: Chronisch hohe Blutzuckerwerte scheinen die Permeabilität der Darmwand zu verändern.

Über einen Glucose-Transporter namens GLUT2 werden demnach Prozesse angestoßen, die den Stoffwechsel beeinflussen und sogar umprogrammieren, wie bestimmte Gene abgelesen werden. Dadurch wird unter anderem die Funktion der Tight junctions gestört. Als Folge können Mikroben ungehindert durch die Darmwand strömen – und auf diese Weise Entzündungsreaktionen fördern.

Neue Therapieansätze

Beide Studien offenbaren, wie wichtig eine funktionierende Darmbarriere für unsere Gesundheit ist. Gleichzeitig eröffnen sich damit nun neue Möglichkeiten für die Therapie von Lupus und Co. „Die Gabe von Antibiotika oder eine Impfung sind vielversprechende Ansätze, um die Lebensqualität von Patienten mit Autoimmunerkrankungen zu verbessern“, sagt Vieiras Kollege und Seniorautor Martin Kriegel. So gelang es dem Team mithilfe dieser Methoden zumindest im Tierversuch, die Autoimmunreaktionen zu verhindern.

Auch das Team um Thaiss berichtet, dass es die Funktionalität der Darmwand wiederherstellen konnte – sowohl durch die Blockade von GLUT2 in den Epithelzellen als auch durch eine Behandlung des hohen Blutzuckerspiegels. „Zukünftige Studien zu dem komplexen Zusammenspiel zwischen Mikrobiom, Darmwand und Immunantwort werden dabei helfen, die Strategien zum Erhalt dieser wichtigen Barriere zu verfeinern“, kommentiert Sandra Citi von der Universität Genf dazu im Fachmagazin „Science“. (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aar7201; doi: 10.1126/aar3318)

(Science/ Yale University, 12.03.2018 – DAL)

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